Kristin Lavranstochter 2
.. *
Die Priester, das Kreuz waren vorübergegangen, die Bauernschar folgte in schweren triefenden Kleidern, aber sie blickten, erstaunt und strahlend, rings um sich, während sie den Ruf wiederholten - Kyrie, eleison!
Da sah sie - sie traute ihren eigenen Augen nicht, jetzt war sie es, die sich auf die Nachbarin stützen mußte. Das war ja Erlend, der dort in der Prozession ging. Er trug einen völlig durchnäßten Kittel aus Renntierfell und hatte die Kapuze über den Kopf gezogen - aber er war es. Er hatte den Mund halb geöffnet und rief Kyrie, eleison wie die anderen - jetzt sah er sie gerade an, als er vorbeiging, sie konnte den Ausdruck in seinem Gesicht nicht recht deuten; es war wie der Schatten eines Lächelns darin ...
Zusammen mit den übrigen Frauen schloß sie sich dem Zug zum Kirchenhügel hinauf an, wiederholte mit den anderen den Ruf der jungen Knaben, die die Litanei sangen. Sie fühlte nichts als das wilde Hämmern ihres eigenen Herzens.
Während der Messe erspähte sie ein einziges Mal einen Schimmer von ihm. Sie wagte nicht, auf ihrem gewohnten Platz zu stehen, verbarg sich im Dunkel des nördlichen Schiffes.
Sobald der Gottesdienst zu Ende war, eilte sie hinaus. Sie lief von ihren Mägden weg, die mit in der Kirche gewesen waren.
Draußen dampfte das Tal in der Sonne. Ohne Besinnen lief Kristin heimwärts, der Weg war jetzt grundlos aufgeweicht.
Sie deckte ihren Tisch und stellte das gefüllte Methorn vor den Hochsitz des Mannes, ehe sie sich Zeit dazu nahm, die nassen Kleider mit dem Feiertagsgewand zu vertauschen: es war das dunkelblaue, gestickte Kleid, der silberne Gürtel, die Spangenschuhe und das Kopftuch mit der blauen Kante. Dann kniete sie in der Kammer nebenan nieder. Sie konnte nicht denken, sie vermochte keine Worte zu finden, wie sie gerne wollte - immer und immer wieder sprach sie das Ave-Maria:
Heilige Fraue, lieber Herr Jesus, Sohn der Jungfrau - du weißt, was ich meine ...
Es dauerte und es währte lange. Von ihren Mägden erfuhr
* (lat.) Erlöser der Welt, rette uns alle, Herr, erbarme dich unser, Christus, erbarme dich unser, Christus, höre uns.
sie, daß die Männer wahrscheinlich wieder zur Brücke gegangen seien; mit Beilen und Hacken versuchten sie diesen Wirrwarr von Treibholz, das sich festgesetzt hatte, zu entfernen - es galt, die Brücke zu retten. Auch die Priester waren hingegangen, nachdem sie die Meßgewänder abgelegt hatten.
Es war schon weit über Mittag, als die Männer hereinkamen. Ihre Söhne, Ulv Haldorssohn und die drei Knechte, ein alter Mann und zwei junge Knaben, die Kristin für einige Zeit auf dem Hof aufgenommen hatte.
Naakkve hatte sich bereits auf seinen Platz gesetzt, rechts vom Hochsitz des Hofbauern. Da erhob er sich jäh, trat weg und ging zur Tür.
Kristin rief ihn halblaut bei seinem Namen.
Da kam er zurück und setzte sich wieder hin. Die Farbe kam und ging in diesem jungen Gesicht, er hielt die Augen niedergeschlagen und biß sich von Zeit zu Zeit in die Unterlippe. Die Mutter sah, er kämpfte schwer, um die Herrschaft über sich zu bewahren - aber es gelang ihm doch.
Schließlich fand auch diese Mahlzeit ein Ende. Die Söhne an der inneren Bank standen auf, gingen rings um das Tischende mit dem leeren Hochsitz, schoben wie aus Gewohnheit die Gürtel ein wenig zurecht, nachdem sie ihre Messer in die Scheiden zurückgesteckt hatten, und gingen hinaus.
Als sie alle weg waren, folgte Kristin. Im Sonnenschein floß das Wasser jetzt in Strömen von allen Dächern. Draußen auf dem Hofplatz war nicht ein Mensch außer Ulv - er stand auf der Steinschwelle vor der Tür seines eigenen Hauses.
Sein Gesicht wurde seltsam hilflos, als die Herrin auf ihn zukam. Er sagte nichts, da fragte sie ihn leise:
„Sprachst du mit ihm?“
„Nicht viele Worte. Naakkve und er redeten miteinander, das sah ich ...“
Bald darauf sagte er wieder:
„Er hatte ein wenig Angst - um euch alle -, als die Überschwemmung so bedrohlich wurde. Da war ihm der Gedanke gekommen, daß er heim müsse und nachsehen, wie es hier gehe. Naakkve erzählte ihm, wie du damit zurechtgekommen seist.
Ich weiß nicht, woher er es erfahren hat - daß du die Felle, die er dir im Herbst durch Gaute sandte, weggeschenkt hast. Er war erzürnt darüber. Ebenso, als er erfuhr, daß du gleich nach der Messe heimgelaufen bist - er hatte geglaubt, du würdest warten und mit ihm sprechen ..."
Kristin sagte nichts. Sie drehte sich um und ging hinein.
In diesem Sommer gab es
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