Kristin Lavranstochter 2
Fürbitte der Kirche kann es geschehen, daß eine arme Seele aus dem Fegefeuer heraus ins Jenseits gelangen darf, wenn ihre Sünde so beschaffen ist, daß sie durch die Hilfe lebender Menschen gesühnt und dadurch die peinvolle Zeit dieser Seele abgekürzt werden kann - so wie jene unselige Seele, die im diesseitigen Leben den Grenzstein zwischen Hov und Jarpstad verschoben hatte, und wie der Bauer im Musutal mit den falschen Briefen wegen des Mühlbachs. Aber ohne solch ein triftiges Anliegen können die Seelen nicht aus dem Fegefeuer kommen - Geschwätz ist das meiste, was das Volk von Gespenstern und Ausgeburten redet, oder Blendwerk des Teufels, das sich in Rauch auflöst, wenn du dich mit dem Zeichen des Kreuzes und dem Namen des Herrn dagegen schützest.“
„Aber die, die in Gott selig sind, Sira Eirik?“ fragte sie wiederum leise.
„Jene, die bei ihm heilig sind, kann er mit guten Gaben und Botschaften aus dem Paradies in seinem Auftrag entsenden, das weißt du.“
„Ich erzählte dir, daß ich einmal Bruder Edvin Rikardssohn sah“, sagte sie wie vorher.
„Ja, entweder war dies ein Traum - und er konnte dir von Gott oder von deinem Schutzengel gesandt sein oder der Mönch ist ein Heiliger.“
Bebend flüsterte Kristin:
„Mein Vater... Sira Eirik, ich habe so herzlich darum gebetet, daß es mir vergönnt sein möge, sein Antlitz ein einziges Mal zu schauen. Ich sehne mich so unsagbar danach, ihn zu sehen, Sira Eirik - und vielleicht könnte ich aus seiner Miene erkennen, welche Taten er von mir heischt. Könnte ich von meinem Vater einen Rat erhalten, dann ...“ Sie mußte sich auf die Lippen beißen und wischte mit einem Zipfel ihres Kopftuches die hervorbrechenden Tränen weg.
Der Priester schüttelte den Kopf.
„Bitte für seine Seele, Kristin - obwohl ich ganz gewiß glaube, daß Lavrans und auch deine Mutter schon seit langer Zeit von dem getröstet sind, bei dem sie zu ihren Lebzeiten hier auf Erden Trost für alle Sorgen gesucht haben. Und ganz gewiß hält Lavrans dich auch dort mit seiner Liebe umfangen -aber deine Gebete und die Messen für seine Seelenruhe binden dich und uns alle an ihn. Ja, die Art, es ist schwer, diese geheiligten Dinge zu erfassen - aber zweifle nicht daran, daß diese Art besser ist, als wenn er in seinem Frieden aufgestört würde, um hierherzukommen und sich dir zu zeigen.“
Kristin mußte eine Weile sitzen bleiben, ehe sie wieder so weit Herr über sich wurde, daß sie zu sprechen wagte. Dann aber erzählte sie dem Priester alles, was sich an jenem Abend in der Feuerstube zwischen ihr und Erlend zugetragen hatte, und sie wiederholte jedes Wort, das gesprochen worden war, so genau sie sich dessen erinnerte.
Als sie ausgesprochen hatte, saß der Priester lange schweigend da. Da schlug sie die Hände heftig zusammen.
„Sira Eirik! Dünkt dich, ich sei mehr im Unrecht gewesen? Dünkt dich, mein Unrecht sei so groß, daß es keine Sünde von Erlend ist, auf diese Art von mir und allen seinen Söhnen wegzugehen? Dünkt es dich richtig, daß er verlangt, ich solle ihn aufsuchen, mich ihm zu Füßen werfen und die Worte wieder zurücknehmen, die ich im Bösen aussprach - ich weiß, daß er nicht eher zu uns heimkehren wird!“
„Dünkt dich wirklich, daß du Lavrans aus dem Jenseits rufen mußt, um seinen Rat in dieser Sache zu erhalten?“ Der Priester erhob sich und legte seine Hände auf die Schultern der Frau. „Das erstemal, als ich dich sah, Kristin, warst du ein zartes kleines Mädchen; Lavrans nahm dich zwischen seine Knie, faltete deine kleinen Hände über deiner Brust und hieß dich mir ein Paternoster vorsprechen - klar und schön konntest du das sagen, obgleich du nicht ein Wort verstandest - später lerntest du die Auslegung zu jeder Bitte in unserer Sprache - mag sein, daß du das jetzt vergessen hast...
Hast du vergessen, daß dein Vater dich unterwies und dich ehrte und dich liebte; er ehrte jenen Mann, vor dem du dich jetzt zu demütigen so sehr scheust - oder hast du vergessen, welch schönes Ehrenfest dein Vater für euch beide gab? Dann rittet ihr wie zwei Diebe von seinem Hof weg - nahmt mit euch Lavrans Björgulvssohns Würde und Ehre.“
Schluchzend barg Kristin das Gesicht in ihren Händen.
„Kannst du dich noch erinnern, Kristin - forderte er von euch beiden einen Kniefall, ehe ihn dünkte, er könne euch wieder in seine väterliche Liebe aufnehmen? Dünkt es dich eine allzu harte Strafe für deinen Hochmut, wenn du dich nun vor
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