Kristin Lavranstochter 2
einem Menschen beugen müßtest, dem du vielleicht kein so großes Unrecht zufügtest wie die Sünde, die du an deinem Vater begangen hast..."
„Jesus!“ Kristin weinte völlig verzweifelt. „Jesus! Erbarme dich...“
„Du entsinnst dich noch des Namens dessen, höre ich“, sagte der Priester, „dem dein Vater als Knecht zu folgen und als getreuer Ritter zu dienen sich bemühte.“ Er berührte das kleine Kruzifix, das über ihnen hing. „Sündlos starb Gottes Sohn am Kreuz, um das zu sühnen, was wir an ihm selbst verbrochen hatten.
Geh jetzt heim, Kristin, und denke über das nach, was ich dir gesagt habe“, sagte Sira Eirik, als sie sich ein wenig beruhigt hatte.
Aber in diesen Tagen trat Südwetter ein, Sturm, nasser Schnee und strömender Regen - bisweilen war es so arg, daß die Leute kaum über ihre eigenen Hofplätze gehen konnten, ohne Gefahr zu laufen, vom Sturm über alle Dächer hinweggetragen zu werden, so wollte es einem fast scheinen. Auf den Wegen im Tal war nicht vorwärts zu kommen. Die Frühjahrsfluten waren so jäh und heftig, daß die Leute aus den gefährdetsten Höfen auszogen. Kristin schaffte den größten Teil ihrer Habe in den Dachraum der Neustube, das Vieh durfte sie in Sira Eiriks Frühjahrsstall unterbringen - der Frühjahrsstall von Jörundhof lag jenseits des Flusses. Das war eine entsetzliche Arbeit bei diesem Unwetter, oben auf den Weiden lag der Schnee so weich wie geschmolzene Butter, und die Tiere waren elend daran; es war ein harter Winter gewesen. Zwei der besten Kühe brachen sich die Beine wie morsche Stengel.
An dem Tag, an dem sie mit der Herde umzogen, kam ihnen plötzlich Simon Darre mit vier von seinen Knechten entgegen. Sie machten sich sofort daran, zu helfen. Im Wind und Regen und all diesem Lärm mit den Kühen, die vorwärts gestoßen, und den Schafen und Lämmern, die getragen werden mußten, fanden die Verwandten weder Zeit noch Ruhe, miteinander zu sprechen. Als sie aber abends nach Jörundhof heimkamen und
Kristin Simon und seine Männer in der Stube untergebracht hatte - allen, die an diesem Tag dabeigewesen waren, tat jetzt ein Trunk warmen Bieres not konnte Simon ein wenig mit ihr sprechen. Er bat sie, mit ihren Frauen und Kindern nach Formo zu ziehen, während er und zwei seiner Leute hier bei Ulv und den Knechten bleiben wollten. Kristin dankte, sagte jedoch, sie wolle auf ihrem Hof ausharren. Lavrans und Munan seien bereits auf Uldsvolden, und Jardtrud habe sich zu Sira Solmund geflüchtet - sie habe sich mit der Schwester des Priesters so gut angefreundet. Simon sagte:
„Es sieht seltsam aus für die Leute, daß ihr beiden Schwestern nie zusammenkommt. Ramborg wird nicht erfreut sein, wenn ich ohne dich heimkehre.“
„Ich weiß, daß es seltsam aussieht“, erwiderte Kristin, „noch seltsamer aber würde es aussehen, meine ich, wenn wir von hier weggingen und bei meiner Schwester zu Besuch weilten, während der Herr des Hofes hier nicht daheim ist - und während die Leute wissen, daß zwischen dir und ihm Mißstimmung herrscht.“
Da sagte Simon nichts mehr, und gleich darauf brachen er und seine Leute auf.
Die Himmelfahrtswoche setzte mit einem fürchterlichen Wetter ein, und am Dienstag hörte man auf den Höfen nördlich im Tal, daß die Überschwemmung die Brücke bei der Rostschlucht, die die Leute überschritten, wenn sie zu den Hövringsalmen wollten, weggerissen habe. Man begann nun für die große Brücke südlich bei der Kirche zu fürchten. Sie war sehr stark gebaut, aus den dicksten Stämmen und in der Mitte hoch gewölbt und von mächtigen Balken gestützt, die ins Flußbett eingelassen waren, jetzt aber spülte das Wasser bis über die Brückenköpfe herauf, und unter dem Brückenbogen staute sich alle Art von Treibholz, das mit der Strömung von oben herunterkam. Der Fluß hatte bereits die niedrigen Wiesen auf beiden Ufern überschwemmt, und auf den Äckern von Jörundhof stand das Wasser wie eine Bucht bis fast an die Häuser heran - dort war eine Bodensenke zwischen den Wiesen, und aus dem Wasser ragten das Dach der Schmiede und die Wipfel der Bäume wie kleine Inseln heraus. Die Scheunen auf den Inseln waren bereits weggerissen.
Von den Höfen auf der Ostseite des Flusses waren nur wenige Männer zur Kirche gekommen. Sie fürchteten, die Brücke könnte während des Gottesdienstes weggerissen werden, so daß sie nicht mehr nach Hause gelangen würden. Aber oben auf dem anderen Ufer an dem Hang unter der Scheune
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