Krock & Co.
das Hirn der Jungfer habe wohl ebenso Dauerwellen wie die Haare… Die Dauerwellen? Die Gefühlsregungen waren in einer Form erstarrt. Das Mädchen konnte keinen Mann sehen, ohne sogleich, selbsttätig wie ein Automat, »in Liebe zu fallen«, wie der Engländer sagte. Mochte es ein Kranker sein (wie der Rechsteiner), oder ein Halbwilder (wie der Velohändler), oder ein Vorgesetzter (wie der ermordete Stieger)… Wer aber war der Coiffeur, der das Gehirn so behandelt hatte?
Den brauchte man nicht weit zu suchen. Kein Mensch war es, ein Geist eher, der verschiedene Formen anzunehmen wußte und in vielen Zungen sprach. Im Kino zitterte er über die Leinwand, in Operetten sang er und in den Schlagern; er redete in den Romanen, sprach aus dem Grafensohn, dem Assessor, der Komtesse. Und dann geschah es wie im Märchen – sein Singen versteinte das Herz, sein Tanzen verhärtete den Geist, sein Schwätzen frisierte die Gefühle – was blieb zurück? Dauerwellen im Hirn… Und was das Traurigste war an der ganzen Sache: man konnte der Martha keine Schuld geben, daß sie so geworden war, daß sie ihre Seele färbte und polierte wie ihre Fingernägel. Vielleicht hatte die Martha ein paarmal mit dem Stieger getanzt, vielleicht sich küssen lassen (ja küssen! nicht einmal abmüntschele!) – und dann stand sie vor einer Leiche. Und wie ein Automat, der selbsttätig die vorgeschriebenen Bewegungen ausführt, wirft sie sich über den Toten (genau wie sie es soundso oft im Kino gesehen hat): »Mein Geliebter!«
Immerhin, es schien noch Rettung möglich zu sein. Denn daß sie, die abgebrühte Martha Loppacher (denn sie hielt sich für abgebrüht, war sie's auch?), plötzlich errötete, ließ doch darauf schließen, daß ihr der merkwürdige Grofe-n-Ernscht nicht ganz gleichgültig gewesen war.
»Ich ha-n-e gern möge, Herr Studer.«
War es eine Täuschung? Es schien dem Wachtmeister, als begännen die Dauerwellen langsam, langsam die angepreßte Form zu verlieren – nicht die sichtbaren, die blieben –, die Frisur lag untadelig dem Kopf an, und kein Härchen stand ab. Aber die anderen… Verzogen die Lippen sich nicht, die bemalten? Senkten sich nicht die Mundwinkel?
Ganz sanft fragte Studer, ob Martha das nicht begreifen könne, daß es für die Wirtsfrau schwer sei, sehr schwer, wenn eine Fremde sich zwischen sie und ihren Mann stelle? Geheimnisse mit ihm habe? Ob sie, die Martha, nicht von morgen an das Sekretärinnenspielen aufgeben wolle?
Eifriges Nicken.
Der Hund trommelte wieder ganz leise mit seinem Schweif gegen die leere Kanne – das Geräusch weckte Studer aus seinen Gedanken. Und da fiel ihm zweierlei auf.
Das erste war etwas scheinbar Nebensächliches: Das Mädchen starrte mit trockenen Augen geradeaus. Aber deutlich, fast zum Greifen deutlich, war die Angst, die das Gesicht verzerrte und in den Augen hockte…
Das zweite war noch nebensächlicher: Martha Loppacher hatte sich nach hinten gebeugt und aus einer der Lederschlaufen eine Feile genommen. Dann öffnete sie einen Schraubstock, steckte einen Nagel zwischen die Backen, zog den Hebel an. Und dann begann sie zu feilen. Gedankenlos.
Sie hielt die Feile in der Rechten, preßte sie mit der Linken fest und feilte in langen Strichen – wie ein gelernter Mechaniker.
Und Studer dachte, daß auch die Speiche des Velorades, die so tief in Jean Stiegers Körper gesteckt hatte, vorne spitz zugefeilt worden war. Zum ersten Mal fiel es ihm auf, daß nicht viel Kraft nötig war, um mit einer solchen Waffe zu töten.
Weiter kratzte die Feile.
»Lassen Sie das!« herrschte Studer das Mädchen an. Das eintönige Kreischen war nicht auszuhalten. Es hatte auch die Stimmung zerstört. Studer stand auf, sagte, ohne aufzublicken – und unwillkürlich bediente er sich wieder des Schriftdeutschen – ziemlich barsch: »Gehen Sie jetzt schlafen! Gute Nacht!«
Er trat in den Hof hinaus, und der Hund folgte ihm, als sei dies selbstverständlich. Der Wachtmeister hatte ihn weder gerufen noch mit einem Fingerschnalzen aufgefordert, mitzukommen…
Der Spitz führte. Eigentlich wäre es nicht nötig gewesen, denn die Türe war nur angelehnt, und ein schwaches Licht schimmerte durch ihre Ritzen. Als Studer sie aufstieß, erlosch das Licht. Und aus der Ecke, in der am Morgen der Velohändler gelegen hatte, kam eine Stimme. Sie fragte, ob es dem Wachtmeister gleich sei, im Dunkeln zu hocken. Denn, fügte die Stimme hinzu, wenn es dunkel sei, gehe das Reden leichter vonstatten.
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