Krock & Co.
nicht auch diese Schlußfolgerung gezogen? Immerhin…
»Ich hab' mich dann gleich auf den Weg gemacht – das heißt, nicht gleich. Ich mußte das Büro noch in Ordnung bringen, mußte wüsche und mein Bett machen… Dann hab' ich mir noch etwas zu Mittag gekocht und bin dann losgefahren. Unterwegs hab' ich zweimal flicken müssen –so ist es sechs Uhr geworden, bis ich in Schwarzenstein angelangt bin.«
»Wer wird jetzt wohl das Büro vom Herrn Krock weiterführen?« fragte Studer, und er hörte es, wie der andere die Achseln zuckte.
»Ich weiß nicht«, sagte Graf. »Nur wir vier waren im Büro, Stieger und Krock, die Loppacher und ich…«
»Gut' Nacht, Fritz. Schlaf gut!« Studer stand auf, vorsichtig, sehr vorsichtig, um nicht aus Versehen ein Tier zu treten.
»Guet' Nacht, Wachtmeister. Ond i danke au!«
Der Mond war untergegangen. Der Himmel sah aus wie eine schlecht geputzte Wandtafel und die Sterne wie Kreidepunkte. Im Osten lagerte eine Wolke und erinnerte an einen Feglumpen, mit dem man verschütteten Rotwein aufgenommen hat. Schwer drückte die föhnige Luft auf die Erde. Die Gräser waren trocken. Keuchend stieg der Wachtmeister den Abhang hinauf bis zur Bank unter der Linde, setzte sich und fuhr sich mit dem Nastuch über den Kopf.
Kein Vogel sang. Die Sterne waren verschwunden. Statt ihrer klebten weiße Fetzen am Himmel, beschienen von der aufgehenden Sonne. Der See schillerte wie heißer Teer.
Straßauf, straßab ließ der Wachtmeister seine Blicke wandern. Er vermißte etwas, besann sich, kam nicht darauf. Was fehlte? Er stand wieder auf und schleuderte angeekelt die soeben angezündete Brissago weit von sich. Sie schmeckte nach Stroh und Leim.
Als er die Straße erreicht hatte, folgte er ihr ein kurzes Stücklein, kehrte wieder um, kam am Hause des Velohändlers vorbei. Er suchte, suchte…
Das rote Rennauto Joachim Krocks war verschwunden!… Vielleicht hatte man es in die Garage gebracht?… Die Garage war leer… In die Scheuer? Nein! – Er stieg die Stufen hinan zur Eingangspforte des Hotels. Sie war verriegelt. So strich er ums Haus, fand die offene Hintertür. Drinnen blieb er stehen und lauschte. Kein Laut. Er zog seine Stiefel aus und begann langsam hinaufzusteigen. Sorgfältig vermied er jeden Lärm.
Auf dem Absatz zwischen dem Parterre und dem ersten Stock blieb Studer stehen und lauschte wieder. Es war ihm, als habe er das Knarren einer Türe gehört.
Und dann zerriß ein Schrei die Stille. Der Wachtmeister ließ seine Schuhe fallen, in zwei Sprüngen hatte er den ersten Stock erreicht…
Die Tür zum Krankenzimmer stand weit offen und durch die offene Balkontür floß das Morgenlicht. Auf der Schwelle lag das Anni. Vom rechten Ellbogen bis zum Handgelenk war die Haut aufgerissen. Die Wunde blutete. Studer beugte sich über die reglose Frau. »Anni!« rief er.
Die Frau gab keine Antwort. Ihre Augen waren geschlossen… Eine Ohnmacht?
»Was ist passiert?« fragte der Wachtmeister.
Der kranke Rechsteiner hob die Hand – die Hand, die aussah wie ein Meertier in seinem Schalenpanzer – und deutete auf die offene Balkontüre.
»Dort!« flüsterte er. »Dort hinaus!«
Zwei Schritte – und Studer beugte sich über die Brüstung. Der Platz vor dem Hotel war leer und auch auf der Straße niemand zu sehen. Auf dem Abhang, der gäh gegen das Bachbett abfiel, war das Heu geschöchlet. Die Haufen sahen aus wie riesige Schildkröten…
Weit und breit kein Mensch… Neben dem Balkon eine vollständig neue Blechröhre; sie verband die Dachtraufe mit dem Boden und neben ihr lief ein dicker Draht. Der Wachtmeister suchte vergebens nach Spuren an der Wand. Nirgends war der Verputz abgebröckelt.
»Wer?« fragte Studer, als er ins Zimmer trat, und vermied es, dem Rechsteiner in die Augen zu blicken. Er starrte auf den Boden des Zimmers, den ein dünner, abgenutzter Teppich bedeckte… Auch auf dem Teppich waren keine Spuren zu sehen – nicht einmal Blutstropfen…
Da riß der Wachtmeister ein Handtuch vom Ständer, kniete neben der ohnmächtigen Frau nieder und untersuchte zuerst die Wunde. Sie war nicht tief. Kein Schnitt – eher sah es aus, als sei das Anni an einem spitzen Nagel hängengeblieben und… Aber das war Unsinn. Mit einem Kleid konnte man an einem Nagel hängenbleiben – dann gab es einen Riß im Stoff. Aber eine Menschenhaut war doch kein Stück Stoff!… Nun, Gott sei Dank, keine Ader war gerissen, auch keine größere Vene. Die Wunde zog sich über die
Weitere Kostenlose Bücher