Krock & Co.
Nur in der Helligkeit, und wenn ihm einer auf die Lippen schaue – da beginne er zu stottern.
Die Behauptung schien zu stimmen. Denn der Mann dort in der finsteren Ecke sprach zusammenhängend, mit einer noch nicht gehörten, weichen Stimme. Kein Gekrächz, kein atemloses Wiederholen der Worte… Studer tastete sich vorwärts – bis zur Mitte des Raumes hatte ihm der Mond geleuchtet, nun war es pechschwarz – endlich stieß er mit dem Fuße an etwas Weiches. Es piepste, laut und durchdringlich. »Bisch still, Ideli!« sagte der Mann im Bett. Das Säuli schnaufte, raschelte im Stroh. Und dann war es still.
Er müsse vorliebnehmen, sagte Fritz Graf. Es sei kein Stuhl im Zimmer. Ob es dem Wachtmeister nichts ausmache, auf dem Boden zu hocken? Nein? Und er danke auch recht schön, daß der Wachtmeister noch gekommen sei. Drüben – ja, er wisse wohl, daß er sich wie ein Kind benehme, aber das sei nicht seine Schuld.
»Wir beide, Wachtmeister«, sagte die Stimme in der Dunkelheit, »der Ernst und ich, sind so kurios geworden, weil der Vater uns immer geschlagen hat. Alle hat er geschlagen, wenn er betrunken war. Die Mutter, den Hund, die Pferde, die Kühe. Und uns. Gleichwohl sind wir wackere Arbeiter geworden – aber wir haben Angst vor den Menschen. Ich hab' in Fabriken gearbeitet, in Arbon zuerst, dann in St. Gallen. Aber nie hab' ich's lang ausgehalten. Immer haben mich die Kollegen geföppelt – es war kein Leben, Wachtmeister! – Da hab' ich zugegriffen, wie mir der Herr Krock die Stelle angeboten hat…«
»Wie ist das zustande gekommen?« wollte Studer wissen. Er saß auf einer zusammengelegten Decke, die ihm wortlos zugeschoben worden war, neben ihm lag das Bäärli und hatte den Kopf wieder auf des Wachtmeisters Knie gelegt.
»Das war vor drei Monaten«, sagte Fritz Graf. »Da ist an einem Abend, so um acht Uhr, ein Herr zu mir ins Zimmer gekommen. Jung. Mit einer langen Nase… Wenn ich offen sein soll, Wachtmeister, so muß ich gestehen, daß mir die Augen des Herrn und sein Mund nicht gefallen haben. Aber er hat gleich angefangen: Er komme von meinem Bruder, der in Schwarzenstein Velohändler sei. Ob ich nicht Ausläufer und Bürodiener werden wolle? Freie Kost und Logis. Hundert Franken im Monat… Ich hab' zugegriffen.«
Studer war nicht ganz bei der Sache. Er sah noch immer den Schraubstock –, und zwei Hände, deren Nägel bemalt waren, hielten eine Feile und feilten, feilten…
»Ich war mit der Stellung zufrieden. Oft bin ich fortgeschickt worden: In dieses Dorf, in jenes. Ich sollte mich mit den Wirten unterhalten und aufpassen, was sonst geschwätzt wurde. Natürlich, erzählen hab' ich's nicht können. Aber ich bin immer der Beste gewesen im deutschen Aufsatz in der Schule, das Schreiben macht mir nicht Angst – alles hab' ich dann schriftlich niedergelegt und den Herren gebracht. Die waren zufrieden. Im zweiten Monat hab' ich schon hundertzwanzig Franken bekommen. Dann hab' ich dem Ernst, meinem Bruder, geschrieben und ihm gedankt, daß er mir die Stelle verschafft hat. Aber er hat mir geantwortet, er wisse nichts von der Sache. Das war mir gleich.«
»Was war das für ein Büro?«
»Ich bin selbst nicht recht drausgekommen, was der Herr Krock eigentlich getrieben hat. Einmal ist eine fremde Dame gekommen (wenn ich nicht unterwegs war, bin ich in meinem kleinen Zimmer gehockt, das lag neben dem Hauptbüro, und wenn die Glocke an der Wand angeschlagen hat, hab' ich gleich hinüberkommen müssen), also eine fremde Dame ist gekommen, ich hab' ihr die Tür aufgemacht und bin dann wieder in mein Zimmer zurück. Die Dame ist mit Herrn Krock allein geblieben. Plötzlich schellt die Glocke. Ich reiß' die Tür auf, steh' im Büro. Da seh' ich die Dame, sie kehrt mir den Rücken zu, und in der Hand hält sie eine Pistole. Der Herr Krock sitzt ruhig hinter dem Schreibtisch. Ich pack' den Arm der Dame, und da läßt sie den Revolver fallen. Ich heb' ihn auf und leg' ihn auf den Schreibtisch. Der Herr Krock nimmt ihn, wirft ihn in eine Schublade und sagt: ›Jetzt ist es dreitausend…‹ Da zieht die Dame ein Heft aus der Tasche, reißt ein Blatt heraus, schreibt. ›Fritz‹, sagt der Herr Krock, ›spring auf die Post. Aufs Postscheckbüro. Dort bekommst du Geld. Sag, Frau… Frau…‹ – Ich hab' den Namen vergessen, Wachtmeister – ›sag, daß dich die Frau… schickt‹. Dreitausend Franken, Wachtmeister. Dreitausend Franken!«
Erpressung? Wucher? Studer dachte nach. War es
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