Krock & Co.
wirklich so unmöglich, daß ein Erpresser (oder ein Wucherer) in St. Gallen sein Wesen trieb, ohne daß die Polizei etwas davon erfuhr? Oder vielleicht wußte die St. Galler Polizei Bescheid, hatte aber keine Beweise? Und Herr Joachim Krock fuhr fort, den geachteten Bürger zu spielen…
»Was hat er sonst getrieben in seinem Büro?« fragte Studer.
»Viele Briefe hat er bekommen. Von weither. Aus Frankreich, aus England, aus Deutschland. Ich glaub', der Herr Krock war selbst ein Schwab. Auch Häuser hat er gekauft und wieder verkauft. Ein paarmal hab' ich ins St. Galler Oberland fahren müssen – mit dem Velo, Wachtmeister, mit dem Velo! – und Wirten Geld bringen. Auch im Appenzellischen hab' ich Wirte besucht und ihnen Geld gebracht.«
»Beim Rechsteiner warst du nie?« fragte Studer.
»Nein. Nie.« Schweigen. Das Mondlicht war gewandert. Nun lag es nur noch auf der Schwelle. Und dann war ein Trippeln zu hören, das näher kam – ein Trippeln von vielen winzigen Hufen. Weit ging die Türe auf. Die zwei Ziegen kamen herein, und: »Mutschli! Mutschli!« rief der Liegende. Das Schaf folgte zögernd: »Salü Müüsli!« sagte der Fritz. Sie trippelten im Zimmer herum, die Tiere, die der Grofe-n-Ernscht vom Tode errettet hatte, scharten sich um das Bett und nahmen auch Studer auf in ihren Kreis. Es war wie im Märli… Zwei Brüder– häßlich alle beide – der zweite womöglich noch unglücklicher als der erste, er konnte nur stottern, wenn man ihm auf die Lippen sah. – Aber was kümmerte das die Tiere, ob einer schön ist oder wüescht? – die Tiere kennen die Menschen besser als die Zweibeiner ihre Brüder. Und Studer fühlte etwas wie Stolz, weil die Ziegen, die Schafe, der Hund ihn aufgenommen hatten in ihren Kreis…
Fritz Graf wollte wissen, ob die Tiere den Wachtmeister nicht störten. Und Studer schüttelte unwillig den Kopf – stören! – besann sich dann aber, daß der andere sein Kopfschütteln gar nicht sehen konnte. So sagte er mit einer Stimme, die er an sich selbst gar nicht kannte, obwohl sie sein geläufigstes Wort sprach: »Chabis! Störe!« Im Gegenteil, es sei eine merkwürdige Nacht heute, fügte er hinzu. Alles erinnere ihn wieder an die Kindheit. Als Fisel sei er auch immer gut Freund gewesen mit den Tieren – und überhaupt!… Ziemlich brummig sagte er die letzten Worte und war erstaunt, den Fritz lachen zu hören…
Eins habe er noch fragen wollen, sagte Studer und lehnte sich bequem zurück. – Das Schaf, das ›Müüsli‹, wie die bei den g'spässigen Brüder das Tier nannten, hatte sich gerade hinter ihm niedergelassen, so daß er eine weiche und warme Lehne hatte. – Wann habe denn dieser Krock sein Büro verlassen?
Ganz genau könne er es nicht angeben, meinte Fritz Graf. Es sei ihm telephoniert worden gestern nachmittag, so um die fünf herum. Da habe er sein Büro verlassen und ihm, dem Graf, aufgetragen, am Telephon zu antworten und die Anrufe aufzuschreiben. – Erstaunt erkundigte sich der Wachtmeister, ob denn Fritz telephonieren könne? »Gwüß, Wachtmeischter!« Er sei ja dann allein, und niemand schaue ihm auf die Lippen. – Exakt!… Und im Hause habe er ja als Bürodiener auch gewohnt.
»In meinem Zimmer– im Zimmer neben dem Büro, standen ein Bett und ein kleiner Tisch. Die Kleider hab' ich in einem Schaft draußen auf dem Gang versorgt. Da hab' ich das Läuten vom Telephon ganz gut hören können. Es hat um sieben geläutet – eine Frauenstimme hat nach dem Herrn Krock gefragt. Ich hab' kaum angefangen, zu antworten, hat die Frau abgehängt. Um acht hat Herr Krock angeläutet: ›Nichts Neues, Fritz?‹ – ›Nein, Herr.‹ Die Nacht durch ist es still gewesen. Heute morgen, um acht Uhr, hat Herr Krock wieder angeläutet: ›Hör, Fritz, dein Bruder ist verhaftet, weil er den Herrn Stieger umgebracht hat. Schließ das Büro ab und komm nach Schwarzenstein.‹ Dann hat er…« Studer fuhr so heftig auf, daß das Schaf in seinem Rücken leise und schmerzlich bähte.
»Um wieviel Uhr?« fragte er.
»Heute früh um acht Uhr.« »Bisch sicher?« »Sicher, sicher wohr!«
Um zehn Uhr war die Behörde erschienen! Und erst um drei Uhr nachmittags hatte die Behörde den Velohändler verhaftet. Mitgenommen aber hatte sie ihn um vier Uhr! Und um acht Uhr morgens hatte Joachim Krock schon gewußt, wen man als Schuldigen verhaften würde!
Überlegte man sich die Sache genau, so war das Voraussagen der Verhaftung im Grunde keine große Hexerei. Hatte Studer
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