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Krock & Co.

Krock & Co.

Titel: Krock & Co. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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äußere Seite des Armes – und nicht dort, wo die Pulsader lief. Studer umwickelte den Arm mit dem Handtuch, zerriß dann sein eigenes Nastuch in kleine Streifen und befestigte so den Notverband. Dann hob er die Frau auf und trug sie hinüber auf ihr Bett. Er wunderte sich, daß er nach der ungewohnten Anstrengung nicht mehr schnaufen mußte…
    Er setzte sich auf den Bettrand und hielt das Handgelenk der Frau zwischen seinen Fingern. Die Pulsschläge waren regelmäßig, sehr langsam – Studer zählte sie, während er auf seine Uhr blickte. Er zählte leise, gleichsam mit geschlossenen Lippen – aber die Haare seines buschigen Schnurrbartes zitterten. Sehr gründlich prüfte er den Puls – drei Minuten lang hielt er das Handgelenk – und auch, als er endlich wieder seine Uhr in der Westentasche versorgte, ließ er nicht los. Fünfundvierzig bis fünfzig Schläge in der Minute – das war wenig, sehr wenig. Dunkel erinnerte er sich an einen Fall in einem Dorf, nahe bei Bern. Da hatte ein Mann versucht, Selbstmord zu begehen und zwanzig Pillen eines starken Schlafmittels geschluckt. Der Puls des Mannes schlug damals genau so langsam und schwach wie Annis Puls…
    Studer blickte sich im Zimmer um. Die Läden des einzigen Fensters waren geschlossen – aber der anbrechende Tag draußen gab genug Licht. Wie bleich war die Frau! Manchmal ging ein Zittern über die geschlossenen Lider, doch starr und reglos, wie der einer Toten, lag der Körper da. Der Atem ging kurz, oberflächlich. Eine Kampfereinspritzung! dachte Studer. Das wäre jetzt das richtige! Aber es war erst fünf Uhr morgens, konnte man da schon den Doktor Salvisberg anläuten?
    Der Wachtmeister zog gedankenlos die Schublade des Nachttisches auf – und er pfiff leise durch die Zähne. Eine ganze Schachtel mit Ampullen! Kampferöl! Und die Pravazspritze lag daneben… Sogar ein kleines Fläschchen mit Äther stand da und Watte war auch vorhanden.
    Ganz fachmännisch ging Studer vor, reinigte mit einem Wattebauschen eine Stelle am linken Oberarm, glühte die Hohlnadel aus über einem Streichhölzchen, füllte die Spritze dann mit dem scharfriechenden Öl…
    Nach fünf Minuten hob sich die Brust des Anni tief und regelmäßig. Einen Augenblick blieb Studer noch neben seinem ehemaligen Schulschatz stehen und schüttelte den Kopf. Hatte die Wirtin Selbstmord begehen wollen? Warum?
    Der Wachtmeister dachte an den gestrigen Abend. Da war doch das Anni ganz getröstet ins Haus zurückgekehrt? Gewiß, die Loppacher hatte noch Sekretärin gespielt beim Kranken. Aber das war doch nichts Neues! Drei Wochen oder noch mehr hatte die Frau das ertragen – warum hätte sie auf einmal Selbstmord begehen sollen? Studer sah keinen Grund. Immerhin, gestern morgen hatte die Wirtin dem Arzte erzählt, sie habe ein wenig vom Schlaftrunk ihres Mannes genommen. Schade, daß man sich nicht erkundigt hatte, was für ein Schlafmittel das gewesen war.
    Ruhelos wanderte Studer im Zimmer umher, öffnete die Schafttür – Kleider, Mäntel, Wäsche… Aber die Kleider waren abgenutzt, die Wäsche (Studer nahm einige Stücke in die Hand) an vielen Stellen geflickt. Ärmlich sah alles aus – so ärmlich! Sicher besaß das Otti, die Saaltochter, schönere Kleider, elegantere Wäsche als ihre Meisterin!…
    Wollte es nicht endlich aufwachen, das Anni? Der Wachtmeister trat wieder zum Bett – wie bleich war das Gesicht der Frau! Er hatte sie bis zum Kinn zugedeckt, denn ihre Füße waren kalt gewesen…
    Sollte man die Läden aufstoßen?… Es wurde eine schwierige Arbeit. Das Holz war aufgequollen, der Riegel saß fest. Es machte d'Gattig, als habe man sie seit Ewigkeiten nicht geöffnet. Endlich gingen sie widerwillig und knarrend auf, schlugen mit Gewalt gegen die Hausmauer.
    Es gab sicher ein Gewitter – kein Vogellaut war zu hören. In der Ferne ballten sich Wolken, und der Wind, der auf der Straße herbeigaloppierte, wirbelte Staub auf – nun schwenkte er ab, kam aufs Haus zu, nahm einen gewaltigen Sprung und war im Zimmer. Er riß an den Vorhängen, blies dem Wachmeister Sand in die Augen, blätterte im Heilkräuterbüchli, das noch immer auf dem Tisch lag, und warf ein Blatt, das darin verwahrt worden war, auf den Boden, spielte noch eine Weile übermütig mit diesem Blatt und sprang dann wieder zum Fenster hinaus. Studer sah ihn auf der Straße weiterrennen…
    Der Wachtmeister rieb sich die Augen – der Staub brannte. Dann bückte er sich und hob das Blatt auf, das im

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