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Krokodil im Nacken

Krokodil im Nacken

Titel: Krokodil im Nacken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kordon
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interessiert hatten, jetzt standen sie wieder am offenen Fenster und hielten mit ungeduldigen Augen nach Franziska Ausschau; freuten sich auf ihre Tante Fränze, die sie am Bahnhof abholen wollte. Doch die sonnenüberfluteten Bahnsteige waren leer. Kein anderer Zug war eingetroffen oder stand zur Abfahrt bereit; niemand wartete auf irgendwen.
    »Da stimmt was nicht.« In Hannah schlug Angst hoch und auch Lenz verspürte Beklemmung. Dieses ungute Gefühl, das ihn seit Russe nicht mehr verlassen hatte – hatte er sich also doch nicht getäuscht, war es kein Zufall, dass sie, seit der Zug das letzte Mal gehalten hatte, die einzigen Fahrgäste in diesem Waggon waren? Er ergriff die Koffer und Hannah nahm die Taschen, und so liefen sie, die Kinder in ihrer Mitte, dem Ausstieg zu. Hastig drückte er den Türriegel herunter – doch die Tür ließ sich nicht öffnen.
    »Was ist?« In Hannahs Gesicht stand das blanke Entsetzen und auch die Kinder blickten verstört.
    »Die Tür klemmt! Weiter nichts.« Er hastete den Gang zurück, auf den linken Ausstieg zu – und da stand es schon, ihr Empfangskomitee: ein etwa vierzigjähriger, grau melierter, schönheitspreisverdächtiger Bilderbuchbulgare und sein im Dienstrang sicher zwei, drei Stufen niedriger einzuschätzender, schon etwas älterer, ziemlich fetter und deshalb stark schwitzender Begleiter.
    »Manfred?«, fragte der Bilderbuchbulgare freundlich.
    Lenz konnte nur nicken. Woher kannte der seinen Namen? Und wieso sprach er ihn mit dem Vornamen an?
    »Bitte, kommen Sie mit.« Der schöne Bulgare, der lange Zeit in Deutschland gelebt haben musste, so akzentfrei war sein Deutsch, nahm Lenz die Koffer ab, sein fetter Assistent schnappte sich Hannahs Taschen.
    »Was soll denn das? Was wollen Sie von uns?« Mehr brachte Lenz nicht heraus.
    »Sie möchten bitte mitkommen. Und Ihre Familie auch.«
    »Aber wieso denn? Wer sind Sie überhaupt?«
    »Keine Fragen!«
    Zwei Worte, ganz sachlich ausgesprochen, auf Lenz wirkten sie wie ein Schuss. Seine letzte, ohnehin nur schwache Hoffnung, diese beiden könnten von Fränze geschickt worden sein, löste sich in nichts auf.
    »Weshalb gehen wir mit denen mit? Wo bringen die uns hin?« Hannah, an der einen Hand Silke, an der anderen Micha, wurde immer bleicher.
    Lenz schüttelte nur den Kopf. Er wusste ja auch nicht mehr. Und hätten sie denn etwa weglaufen sollen?
    Sie wurden zu einem Kleinbus gebracht, der vor dem Bahnhof parkte, und der Bilderbuchbulgare befahl ihnen einzusteigen. Silke, die Große, bald Neunjährige, nun ahnte sie etwas. »Ich will da nicht rein«, protestierte sie laut. »Wir dürfen doch gar nicht weg. Wir müssen doch auf Tante Fränze warten.« Micha, erst fünf, blickte nur scheu in die Runde.
    Es vergingen nur wenige Minuten, in denen Lenz versuchte, seine Gedanken zu ordnen und gleichzeitig die noch immer aufgeregte Silke zu beruhigen, da wurde er schon wieder herausgewunken aus diesem Zwölfsitzer. Er verabschiedete sich nicht, dachte, es ginge allein darum, etwas aufklären zu müssen; ein Missverständnis vielleicht. Deutsche Touristen namens Manfred gab es sicher viele, konnte es sich denn trotz Franziskas Abwesenheit nicht auch um eine Verwechslung handeln? Sie waren ja noch über zweihundert Kilometer von der bulgarisch-türkischen Grenze entfernt, wie konnte man sie da bereits verhaften? Erst als er in dem PKW Platz genommen hatte, der neben dem Bus bereitstand, und gleich darauf der Motor angelassen wurde, begriff er. Er wollte aufbegehren, sich gegen die Trennung von Hannah und den Kindern wehren, sah dann aber ein, dass er damit nichts ändern konnte, und drehte sich nur noch schweigend nach ihnen um.
    Silkes weit aufgerissene Augen! »Mein Papi!«, gellte ihre Stimme über den Bahnhofsvorplatz. »Wo bringen die meinen Papi hin?« Micha, der sich an Hannah festklammerte, begriff noch immer nichts, kuckte nur und kuckte. Hannah hob die Hand, als wollte sie irgendetwas abwehren oder ihn festhalten, doch da fuhr der PKW schon an und die Gesichter im Bus wurden kleiner und kleiner und verblassten schließlich ganz.
    Es wurde nur eine kurze Fahrt. Ein paar sonnendurchflutete alte Gassen, einmal eine salzig-warme Brise vom nahen Meer, die durchs offene Fenster wehte, dann hielt der Wagen in einem von mehreren niedrigen, hell gestrichenen Gebäuden umsäumten Hof. Lenz wurde befohlen auszusteigen, und die drei Männer, die ihn begleiteten, führten ihn in eines der Gebäude. Eine schwere Tür fiel hinter

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