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Krokodil im Nacken

Krokodil im Nacken

Titel: Krokodil im Nacken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kordon
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Wand erhob sich ein zweitüriger Schrank, auf dem ein paar Bücher und Aktenordner abgestellt waren. Neben dem Schrank führte eine Tür in ein Nachbarzimmer.
    »Nun?«, kam es mit heller, spöttischer Stimme. »Sind wir wieder zu Hause angelangt?«
    »Zu Hause ist vielleicht ein wenig übertrieben.«
    Zum ersten Mal trafen sich ihre Blicke – und die Fronten waren abgesteckt: Zwei junge Männer, beide voller Vorurteile, würden um ihre Wahrheit ringen wie zwei verliebte Burschen um das schönste Mädchen und ahnten doch schon, dass jeder nur nach seinen eigenen Regeln siegen konnte.
    »Wissen Sie denn überhaupt, wo Sie sich hier befinden?«
    »In einer Untersuchungshaftanstalt des Ministeriums für Staatssicherheit.«
    »Genaueres wissen Sie nicht?«
    Genaueres wusste Lenz nicht. Er war erst tags zuvor mit einer von der Stasi gecharterten Interflug -Maschine aus Sofia ausgeflogen worden, zusammen mit sechzig, siebzig anderen in Bulgarien Festgenommenen. Am Flughafen Schönefeld waren sie in grün gespritzte, fensterlose Barkas -Kleintransporter geladen worden, die in jeweils vier oder fünf enge Verschläge unterteilt waren. In diesen düsteren Kammern, in denen, wer über eins sechzig war, ständig die Arme anwinkeln musste, waren sie forttransportiert worden; wohl jeder in seinen Heimatbezirk zurück. Nur die Berliner blieben in der Stadt. Aber wohin, in welchen Teil der Stadt hatte man sie gebracht?
    »Na, Sie müssen ja nicht alles wissen.« Der Klassensprecher lächelte, legte sich ein Formular zurecht und begann Lenz’ Personalien aufzunehmen.
    Lenz antwortete mit gespielter Gelassenheit. Dass sie ihm nicht sagten, wo er sich hier befand, sollte ihn doch nur verunsichern. Genauso wie die zu große Hose, die Socken und Puschen an seinen Füßen, dieser Hocker, der verhinderte, dass er sich zurücklehnen konnte, und vielleicht auch der Aschenbecher, der ihn mit hämischer Freude daran erinnerte, dass er nichts zu rauchen hatte.
    Sein Gegenüber tat, als langweilte ihn diese Prozedur. Du, mein Lieber, sollte das wohl heißen, bist für mich nur einer von den vielen Dummköpfen, die auf die Parolen des Klassenfeindes hereingefallen sind. Ein Verirrter, eine unfertige Persönlichkeit. Wenn du klug bist, kooperierst du; ansonsten sehe ich schwarz.
    Und du?, versuchte Lenz mit stummer Miene zu antworten. Was bist du denn für einer? Ein Büttel, der sich nur hochdienen will. Doch es erforderte viel Kraft, den Selbstbewussten zu spielen, auf diesem Häftlingshocker und in diesen Klamotten, die ihn zum komischen Vogel machten, und mit all der Sorge um Hannah und die Kinder im Herzen. Er suchte nach einem Rettungsanker, irgendetwas in diesem Raum, an dem er sich festhalten und vielleicht sogar aufrichten konnte. Sein Blick blieb an dem Honecker-Porträt hängen. Erich anschauen und nicht belustigt sein war unmöglich. Ein Gesicht, trocken wie ein Furz; nichts als Brille und enger, verkniffener Mund; Farbfoto eines Farblosen.
    Der Klassensprecher schloss die Feststellung der Personalien ab und nannte Lenz die Paragraphen, deren Übertretung seine Frau und er sich nach Ansicht der Staatsanwaltschaft schuldig gemacht hatten. Erstens Paragraph 213, Absatz 1 und 2 des Strafgesetzbuches: ungesetzlicher Grenzübertritt in schwerem Fall; zweitens Paragraph 100, Absatz 1: Aufnahme von staatsfeindlichen Verbindungen.
    Lenz versuchte seine Bestürzung zu verbergen. Den Vorwurf des versuchten illegalen Grenzübertritts hatte er erwartet. Aber wieso »schwer«? Und zu welchen Staatsfeinden sollten Hannah und er Verbindung aufgenommen haben?
    Der Klassensprecher sah ihm dennoch an, was in ihm vorging. »Sie hätten zuvor mal die Gesetze studieren sollen«, freute er sich. »Wer Grenzanlagen beschädigt, Gruppen bildet, gefährliche Gegenstände mit sich führt, im Wiederholungsfall den Grenzdurchbruch versucht oder ihn mit falschen Pässen erzwingen will, hat sich nun mal des schweren Grenzdurchbruchs schuldig gemacht. Höchststrafe acht Jahre. Und in Ihrem Fall treffen mindestens zwei der genannten Tatbestände zu.«
    Sag nichts dazu, Manne! Sieh ihn dir nur an, diesen netten jungen Mann, der da so eifrig seinen Staat vertritt.
    »Wie darf ich Ihr Schweigen deuten? Wollen Sie sich dazu nicht äußern?«
    »Ich bin bereit, mich zu allem zu äußern. Ich würde nur gern vorher einen Rechtsanwalt sprechen.«
    Wieder ein Grinsen. »Sie haben zu viele amerikanische Filme gesehen. Sie sind hier aber nicht in Amerika. Erst wird das

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