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Krokodil im Nacken

Krokodil im Nacken

Titel: Krokodil im Nacken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kordon
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Unterhose liefen sie herum, weil ein Mehr an Kleidung in dieser schwülheißen, muffigen Zellenhitze nicht auszuhalten war. Durch das kleine Belüftungsloch unterhalb der Zellendecke drang längst nicht genügend Sauerstoff in diese völlig überbelegte Zweierzelle.
    Immer noch freundlich lächelnd bedeuteten sie ihm, dass es das Beste sei, wenn er ihrem Beispiel folgte. Er nickte, zog aber erst mal nur das Hemd aus.
    Die beiden älteren Männer, erfuhr Lenz dann, waren Bulgaren. Nentscho, der an einen hakennasigen Hollywood-Piraten erinnerte, hatte ein volkseigenes Restaurant geleitet, wie er dem Neuankömmling in gebrochenem Deutsch verständlich machte. »Restaurant Perla, du wissen? Schön Restaurant, groß Restaurant!« In Untersuchungshaft saß er, weil die staatliche Aufsichtsbehörde dahinter gekommen war, dass der stolze Nentscho in seinem schönen, großen Restaurant mehr in die eigene Tasche als in die des Staates gewirtschaftet hatte. Seinen schweigsamen, bartstoppeligen, düster blickenden Landsmann Stojan mit den weit hervorstehenden Rippen hatte eine Dreiecksgeschichte hierher gebracht: zwei Männer, eine Frau. Zum Schluss, so Nentscho, hätten beide Männer zum Messer gegriffen. Nun liege der andere schon seit Wochen im Krankenhaus, und erst wenn er verhandlungsfähig sei, würden beide Nebenbuhler vor Gericht gestellt.
    Der dritte Kahlkopf war ein kindergesichtiger junger Tscheche. Er hieß Josef, wollte aber nur Pepek gerufen werden. »Wie von Mutter.«
    Auch Pepek verstand drei Wörter Deutsch. So schaffte er es, mit Händen und Füßen und vielen Grimassen Lenz seine Geschichte zu erzählen. Er hatte eines Nachts über die bulgarisch-türkische Grenze kriechen wollen und war dabei festgenommen worden. Sein Ziel war die Mutter in München, die dort auf ihn wartete; der Vater, bei dem Pepek nach der Trennung der Eltern geblieben war, lebte nicht mehr. Mit der Hand einen Flieger aufsteigen lassend, deutete Pepek an, dass seine Mutter irgendwann, als er noch ganz klein war, von ihm fortgeflogen sei. Gleich darauf ließ er mit derselben Hand Tränen aus seinen Augen perlen, um deutlich zu machen, wie sehr seine Mutter seither darunter litt, von ihm getrennt zu sein. Doch er lachte dabei, als glaubte er weder seiner Mutter noch sich selbst.
    Pepek schwärmte von den Beatles, Coca-Cola und Bravo -Heften und vermutete, dass es ähnliche Interessen und Wünsche waren, die Lenz in diese Zelle geführt hatten. Lenz musste ihm lebhaft widersprechen. Wusste er denn, was dieser fröhliche Bursche mit der runden Nase und den neugierigen Augen und die beiden neben ihm auf den Matratzen hockenden Bulgaren weitererzählten? Stand ja in jedem billigen Krimi, dass Häftlinge gern versuchten, sich bei denen, die sie festhielten, mit allen möglichen Informationen freizukaufen. »Meine Frau, die Kinder und ich, wir waren ja gerade erst angekommen«, beteuerte er. »Keine Grenze weit und breit, keine Flucht! Es muss sich um einen Irrtum handeln.«
    Die drei machten verständnisvolle Gesichter: Ein Irrtum! Natürlich! Wer war denn so dumm, sich gleich nach seiner Verhaftung schuldig zu bekennen?
    Pepek schien gern über sich selbst zu sprechen. Nur an seiner eigenen Ungeschicklichkeit habe es gelegen, dass seine Flucht misslungen war, bekannte er in einer seltsamen Mischung aus Trauer und Stolz. Er, Pepek Ružicka von der Prager Kleinseite, wo ja bekanntlich die klügeren Prager lebten, hätte eben pfiffiger vorgehen müssen. Wie hatte er nur einfach loskriechen können! Als ob des Nachts alles möglich sei! Und das auch noch ausgerechnet dort, wo alle drei Meter ein Grenzer stand. Nein, nein, nein, niemand trug Schuld an seinem Unglück, nur er selbst. Doch wollte er daraus lernen, das nächste Mal fingen sie ihn nicht.
    Inzwischen hatte auch Lenz sich bis auf die Unterhose ausgezogen und Hose und Hemd, Schuhe und Strümpfe an das Kopfende der beiden Matratzen gelegt, die den Fußboden des schmalen Raumes fast zur Gänze bedeckten. Dort lagen auch die Kleider seiner drei Mithäftlinge; woanders wäre kein Platz dafür gewesen. Der Schweiß rann an ihm herab, er atmete schwer, und hin und wieder nickte er, zum Zeichen dafür, dass er Nentscho oder Pepek verstanden hatte. In Wahrheit war in ihm alles taub. Er hörte zu und wusste, dass es pure Wirklichkeit war, dass er hier unten, in diesem stickigen Loch, zwischen diesen drei ihm noch vor wenigen Minuten völlig unbekannten Männern saß, dennoch war ihm, als spielte er

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