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Krokodil im Nacken

Krokodil im Nacken

Titel: Krokodil im Nacken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kordon
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aus der Zelle zu treten hatte, hatte ihm der Marsmann am Abend zuvor, als er ihn zur Effektenkammer und zur kriminalistischen Erfassung führte, schon beigebracht. Er musste sich links von der Zellentür aufstellen – Gesicht zur Wand, die offenen Hände auf dem Rücken – und warten, bis die Tür verschlossen war. Setzte der jeweilige Schließer sich danach in Bewegung, durfte er ihm, Hände auf dem Rücken, im Abstand von drei Schritten folgen.
    Wieder musste Lenz die ihm viel zu weite dunkelblaue, ehemalige Volkspolizistenhose auf dem Rücken festhalten, damit sie nicht bis auf die Knöchel runterrutschte; wieder hatte er das Gefühl, in den ihm viel zu großen, groben Wollsocken, die ihm über die schwarzgelben Filzlatschen hingen, zum Puschenheini degradiert worden zu sein; wieder ging es durch den nur schwach beleuchteten, ebenfalls beige gestrichenen Flur mit den schwarzen Riegeln und Schlosskästen an den grauen Zellentüren links und rechts. Alarmleinen aus Klingeldraht zogen sich in Griffhöhe an den Wänden entlang. Sollte der Schließer oder Läufer, der den Gefangenen führte, angegriffen werden, brauchte er nur danach zu greifen und schon würde ein Rollkommando herbeigestürzt kommen.
    »Was erwartet mich denn heute?«
    »Seien Se still!«
    Das klang zornig. Musste ein Untersuchungsgefangener sich doch denken können, dass auf den Gefängnisfluren nicht gesprochen werden durfte; schon gar nicht in diesem vertraulichen Ton. Hier wurden keine Freundschaften geschlossen, hier wurde verwahrt und verwaltet, ermittelt und bestraft.
    »Bleiben Se stehen!«
    Die rote Lampe über der Gittertür, hinter der es nach rechts in einen weiteren Zellenflur ging, war Teil einer Ampelanlage; davor, auf dem Linoleumfußboden, war ein roter Stoppstrich aufgemalt. Vor dieser Markierung musste Lenz stehen bleiben und warten, bis der Marsmann die Ampel betätigt hatte und sicher war, dass keine andere Gefangenenzu- oder -rückführung ihren Weg kreuzte. Erst danach ging es durch die Gittertür und hundert Meter weiter in das zwischen den Etagen mit Stahlnetzen und an den Seiten mit Gittern gegen etwaige Suizidversuche abgesicherte Treppenhaus hoch, das Lenz bereits vom Abend zuvor kannte, als man diesen Weg mit ihm gegangen war, um ihm die Fingerabdrücke abzunehmen und von allen Seiten Fotos von ihm zu schießen. Fürs Verbrecheralbum.
    Auch im Treppenhaus sorgte sich der Marsmann vor einer zufälligen Begegnung mit einem anderen Pärchen. Immer wieder ließ er einen seiner Schlüssel am Treppengitter entlangschnarren oder rasselte mit dem Schlüsselbund. Ansonsten liefen sie durch ein Totenhaus, überall tiefste Stille.
    Zwei Stockwerke höher ging es durch eine schwere Stahltür in einen ebenso stillen, einem Hotelgang ähnelnden Flur hinein. In der Mitte ein roter Läufer, rechts und links hell gestrichene Türen mit schwarzen Ziffern, aber ohne Namensschilder. Vor einer der Türen blieb der Marsmann stehen und wies Lenz an, sich davor wie vor seiner Zellentür aufzustellen: Gesicht zur Tür, Hände auf dem Rücken. Er wartete, bis Lenz die verlangte Position eingenommen hatte, dann klopfte er, schob den Kopf in den Türspalt, flüsterte irgendwas und öffnete die Tür schließlich ganz.
    Lenz durfte eintreten und wurde angewiesen, auf dem Hocker in der äußersten Ecke neben der Tür Platz zu nehmen. So blieb zwischen ihm und den beiden Tischen, die den kleinen Raum fast zur Hälfte füllten, ein größerer Abstand.
    Hinter dem Schreibtisch saß ein junger Mann, der Lenz neugierig anblickte. Kastanienbraunes, lockiges Haar, mittelgroße Knabenfigur, schmaler Kopf, braune Knopfaugen, nicht älter als Mitte zwanzig. Ein Klassensprechergesicht! Der Typ, den die netten Mädchen und die bequemen Lehrer bevorzugen; keiner, mit dem ein Manfred Lenz sich angefreundet hätte, aber auch kein Unsympath.
    Der Klassensprecher gab dem Marsmann zu verstehen, dass er gehen konnte, dann musterte er Lenz, bis der den Kopf abwandte.
    Links vom Schreibtisch, unter dem wie immer ein wenig zu bunten, farbigen Honecker-Porträt, standen ein niedriges Schreibmaschinentischchen mit abgedeckter elektrischer Schreibmaschine und ein nicht sehr hoher, dunkelbraun gespritzter Panzerschrank, gleich daneben verriet ein mit Stores verhängtes, vergittertes Fenster, dass draußen die Septembersonne schien. Auf dem etwas kleineren, quadratischen Tisch direkt vor dem Schreibtisch gähnte ein großer, leerer, sauber gewischter Aschenbecher, rechts an der

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