Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Kronhardt

Titel: Kronhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Dohrmann
Vom Netzwerk:
einem mestizisch-zerrissenen. Sie konnte vom Maguey für Tequila erzählen und vom Maguey für Mezcal, und sie glaubte, daß Zapata den traumatischen Hang der Mexikaner zum Besäufnis überwunden hätte. Sie konnte eine Art Mitleid empfinden für das Land, dem Cortés das Herz herausgerissen hatte, und wenn sie in den Gazetten die Jet-set-Bilder sah aus Acapulco, konnte sie weinen.
    Wenn Barbara das Feuer im Kachelofen schürte, leckten die Flammen in die Küche und zogen in diskreten Sprüngen bis unter die Decke. Der Cencibel hatte einen weichen Abgang, und in der Feuerwärme schien die Distanz zu der Spanierin bald endgültig aufgehoben. Von Mexiko gelangten sie mühelos in die Alte Welt zurück, und Willem wollte wissen, wie denn 68 im Franco-Spanien gewesen sei.
    Inéz machte ein überraschtes Gesicht.
    Ob die Hippiekultur gewissermaßen übergesprungen sei, meinte er. Eine Art Kraftfeld, das über die Isolation hinweg das neue Phänomen nach Spanien eingebracht hätte?
    Inéz verzog die Stirn. Bei den Katalanen. Oder den Basken, was weiß ich. Aber Hippies bei uns? Sie lachte über die Vorstellung. Blumen aus den Gewehren, sagte sie, und in den Kirchen werden E-Gitarren angekoppelt, und die Räuchergefäße sind vollgestopft mit Gras. Doch dann war sie plötzlich wieder da, diese Fledermauswelt. Im Ofen knisterten die Scheite, ihre Stimme war ein Flüstern, und doch konnte Willem die Töne auf seiner Haut spüren. Vielleicht sind Raum und Zeit für die Hippies kein Problem. Vielleicht können sie ihre Ideen auflösen und woanders wieder zusammensetzen. Aber nicht bei uns. Wo alle Kraft zusammengeschnürt ist von den Alten. Wo sie mit einem machen können, was sie wollen, und niemand da ist, der einem hilft. Was glaubst du denn? Wenn die Männer von der Einheitspartei kommen, bringen sie gleich den Pfaffen mit. Und lassen sich alles absegnen, verstehst du. Egal, was. Und überall sitzt die Phalanx der Alten und läßt alles geschehen. Verstehst du? Ich konnte nicht einfach sagen, ich will nicht. Oder ich möchte dies oder das, so wie du. Die Hippiekultur ist bei uns etwas wie vom anderen Stern. Bei uns wird man entweder wie die Alten, oder man stellt klar, daß man das nicht will. Und bei uns hat man nicht viele Möglichkeiten, das klarzustellen. Und Hippie werden, das geht schon gar nicht.
    Willem sagte nichts. Dann stand er auf, verbeugte sich und nahm sie in den Arm. Inéz, die Fledermaus.

29
    Die Hochzeit sollte reine Formsache sein. Keine Kirche, keine Gäste, nichts. Nur Willem und Barbara. Und schlimmer, rief Kronhardt, diese Frau wolle auch noch ihren eigenen Namen erhalten. Wenn das ihre Auslegung von Tradition und Fortschritt sei, wolle er sie nicht mehr in seinem Haus. So eine Auslegung ruiniere am Ende alles, und Willem, rief er, solle sich gleich mit ihr scheren.
    Seine Frau fand die Courage dieser Frau Focke bemerkenswert. Bei allem Bruch, sagte sie. Aber auf diese Art stünden sie am Ende besser da, als wenn sie das ganze Register hätten ziehen müssen. Bei den toten Brauteltern wäre es Ehrensache gewesen, für alles aufzukommen – Poltern, Ratskeller, das ganze Tamtam.
    So wie die Dinge aber jetzt stünden, beschere ihnen diese formelle Schlichtheit mindestens eine neue Achtkopf. Wenn nicht zwei, und ganz zu schweigen davon, daß die Focke eine gute Partie sei. Was die anderen zu diesem Bruch sagten, könne ihnen somit doch egal sein. Schließlich seien es die Focke und der Willem. Zwei erwachsene Menschen.
    Kronhardt saß da, als könnten ihre Worte ihn nicht erreichen. Sein Blick war starrsinnig, die Hände ballten sich auf der Platte.
    Und nicht zu vergessen, sagte seine Frau, die beiden seien in einer gefährlichen Zeit groß geworden. Was sei da schon eine Heirat ohne Tamtam, wenn man sich klarmache, daß ihre Gesichter heute ebensogut von den Steckbriefen starren könnten. Oder daß sie herumlungern könnten, langhaarige Subjekte, die dem Deutschmeister Friedenszeichen unter die Nase hielten. Reine Formsache, sagte sie. Meine Güte, wenn man das wohlwollend aus der Zeit übersetze, in der die beiden groß geworden seien, heiße das doch nichts anderes, als daß Liebe das neue Prinzip sei in der Partnerwahl. Meine Güte, die Liebe, meinte sie. Was auch immer die anderen sagen, muß doch hinter diesem Prinzip verblassen.
    Kronhardt

Weitere Kostenlose Bücher