Kronhardt
wie der Zahlmeister sagte. Dann etikettierte er die Koffer und stellte sie in eine Reihe. Die Stewards würden das Gepäck später auf die Kabinen verbringen. H- 600 sei backbord im Sechsten, direkt unterm Peildeck, und der kürzeste Weg gehe über die Achterntreppen. Ahoi, sagte der Zahlmeister und winkte die nächsten Passagiere zu sich heran.
Mittschiffs hievte ein Kran Lebensmittel an Bord, und von Deck gab der Koch dem Kranführer Zeichen. Matrosen arbeiteten an den Davits, von achtern schlug die Fahne gegen den Mast, und während Barbara und Willem aufwärts stiegen, spürten sie das Salz am Handlauf. Ein Mann im Kesselpäckchen kam ihnen gruÃlos entgegen; er war schnell unterwegs, zog den Geruch von Schweröl mit sich, sprang bald über das Geländer und entriegelte eine Tür. Blinklicht erschien, von innen kam ein saugendes Geräusch, und der Mann verschwand in einem Vakuum.
Der Zahlmeister hatte die Kammer durchaus treffend beschrieben. Zwei Kojen, zwei Bullaugen nach Backbord, zwei nach achtern, Sitzecke und Tisch. Es gab Staufächer fürs Gepäck, und alles, was lose war, lieà sich festlaschen. Sogar in den Kojen gab es Riemen.
Die Minibar war gut gefüllt.
Barbara entschied sich für Gin Tonic, Willem nahm den Single Malt straight. Sie saÃen beisammen und trieben das Getränk in sich hinein wie eine Initiation. Der Eintritt in eine Gemeinschaft, und aus dem anderen spürte jeder die Zukunft schlagen, die Bereitschaft, auch Opfer zu bringen. So küÃten sie sich und füllten die Gläser erneut. Cheerio und chin-chin, Bremerhaven â Harwich und in zehn Tagen retour. Auch wenn Willem ganz andere Wünsche gehabt und vor allem die Persönlichkeitsentwicklung, wie er meinte, zum Argument genommen hatte. Hunde unter dem Vulkan, hatte er gesagt, Jaguare zwischen Urwaldruinen und Kakteenberge unter einem wuchtigen Himmel. Doch er konnte Barbara für seinen Wunsch nicht einnehmen. Auch das franko-kantabrische Kernland mit den Höhlenmalereien konnte er nicht durchbringen und auch nicht die antiken Stätten, Kreta, Rhodos oder Magnesien, die er zuletzt noch mit Anekdoten seines alten Lateinlehrers ausgeschmückt hatte.
Barbara wollte von Anfang an nach England, und schlieÃlich muÃte er zugeben, daà er nichts dagegen haben konnte. Er brachte die Salisbury Plain ins Spiel oder die Seven Sisters; er erzählte von den spektakulären Funden im Old-Red-Gestein, vom Silur und vom Devon, und er wuÃte, wo noch Spuren der kaledonischen Faltungsära zu sehen waren.
Also England ahoi. Und während ihre Zungen gewissermaÃen in Alkohol und Initiation verklebten, spürten sie die plötzlich einsetzenden Vibrationen. Mann und Frau, was für eine unglaubliche Tiefe. Wenn sie die Gläser absetzten, bildeten sich Ringe auf der Schnapsoberfläche, und so wurde der Schiffsdiesel hochgefahren und markierte die Abfahrt.
Als die Festmacherleinen von den Pollern waren, standen sie an der Reling. Das Horn der Oberon ertönte, sonores Maschinenstampfen setzte ein, und dunkler Ausstoà verwehte unterm Himmel.
Wie damals mit dem Vater schien sich die Welt hinter der Reling aus ihrer Festigkeit zu lösen. Der Kai wurde kleiner, die Hafenanlagen schrumpften, die ganze Stadt verschwand, und voraus weitete sich die Welt mit ihren Möglichkeiten. So stand Willem, und im Arm hielt er seine Frau. Tiefe und Geborgenheit im gemeinsamen Blick, beide auf dem Weg klarzustellen, wer sie waren.
Es schien wenige Deutsche auf dem Dampfer zu geben. Eine Art Ausland bereits in der Wesermündung, und die meisten Engländer hockten vor den einarmigen Banditen oder waren betrunken. Achtern zog das Schiff eine Narbe, die sich endlos erneuerte und in der gleichförmigen Weite verschwand. Irgendwo steuerbord muÃte Helgoland liegen, backbord die Ostfriesischen Inseln. Willem fand, daà man die Oberon ebensogut als ruhenden Punkt betrachten konnte; eine Art Zentralgestirn, meinte er, auf das England sich unweigerlich zubewegen müsse. Barbara lächelte und streichelte seinen Kopf.
Zum Nachmittag, bei ruhiger See und aufgeklartem Himmel, schoà Willem ein paar Photos. Wie Barbara gegen die Reling stand und der Wind Strähnen unter ihrem Kopftuch vorholte; wie das weite Licht in ihrer Sonnenbrille reflektierte. Vor allem seine Art, mit der Kamera einfach den Augenblick zu markieren, anstatt Schimären für die Zukunft
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