Kronhardt
zwei prächtig blühende Linden schafften Geborgenheit für das Altbremer Haus, davor, beinah ungezwungen und mit pionierhaftem Lachen, stand die Hartmann-Familie. Ein wunderbares Sommerbild, das sowohl solide Geschichte ausstrahlte als auch die visionäre Lust vor allem der Jugend â und womöglich stammte das Photo aus jenem Sommer, als Deutschland in der Siegesfreude um Max Schmeling wie eine einzige Stube erschienen war.
So hatte der Chefredakteur das Photo gewählt und mit den Zeilen darunter auch gleich jenen kollektiven Schock markiert, der noch immer anhielt: Das Hartmann-Haus gibt es so nicht mehr! hatte er geschrieben. 44 wurden die oberen Stockwerke zerstört, ein Stück unwiederbringliche Geschichte!
Auch der mehrspaltige Bericht war ein Bekenntnis zum Heimweh â oder anders: Die gedruckten Worte waren feierliche Version einer Familiengeschichte; machten sie offiziell, schwarz auf weiÃ, ein Stück Wahrheit, wunderbar zubereitet, und wo Barbara den Chefredakteur unlängst mit ihrer gepflegten Chronologie überzeugt hatte, überzeugte Eva Kronhardt, geborene Hartmann, jetzt mit entwaffnender Offenheit.
Dem Chefredakteur gefiel so eine Offenheit, zumal er wuÃte, wie man die Haken ins Fleisch trieb. Recht so, hatte er gesagt, und daà es für die Leser nichts Prickelnderes gäbe als die Abgründe des Lebens; diese grenzgängerische Freiheit, hatte er gesagt, in die Tragödien anderer einzutauchen, um sich jederzeit und unversehrt wieder davonzumachen, und er hatte das ein Gefühl von Macht genannt, das auf diese Art jeder einzelne Leser empfinden könne â quasi ein Blick auf die Toten und das überlegene Gefühl, keiner von ihnen zu sein. So also hatte der Chefredakteur seinen Mehrspalter aufgemacht. Ein dramatisches Stück Familiengeschichte von feierlicher Offenheit.
Natürlich gab es einen chronologischen Faden â Firmengründung, Neuaufbau nach der Stunde Null, das ganze Schema. Doch seine reiÃerischen Schwerpunkte hatte er eindeutig woanders gesetzt, und zwar ganz in Absprache mit Eva Kronhardt, geborene Hartmann â nichtwahr: weil eine erfolgreiche Stickerei nicht nur Wohlbefinden produziere, sondern weil dahinter ehrbare Menschen stünden mit Schwielen und dem Herzblut der Zeit, und so wurden die reiÃerischen Schwerpunkte vor allem ins Menschliche verlegt. In die für jedermann prickelnden Abgründe, und bald muÃte es den Lesern erscheinen, als säÃen sie selber und nicht der Chefredakteur mit Eva am Tisch und lauschten ihren Worten.
Wie der alte Hartmann, nichtwahr, dieser Gründertitan mit steifem Bein und Aalräucherlizenz, der seine Söhne im Krieg verloren hatte; wie dieser Mann vor den Trümmern seines Lebens stand, um es aus den Trümmern wieder aufzubauen; wie er ausgerechnet im Anfang der jung prosperierenden Republik durch Verkettung unglaublicher Umstände nicht nur selber auf qualvolle Weise ums Leben kam, sondern alle Qual sich noch einmal potenzierte, indem auch seine Frau mitgerissen wurde.
Nach diesem ersten chronologischen Abrià rückte Eva selber ins Augenmerk des Berichts. Ihre Biographie schien direkt aus dem Aufmacherphoto entsprungen, eine junge Frau, während Deutschland in Siegesfreude stand, und der Chefredakteur brachte alles an Suggestion und reiÃerischem Können, um den Leser ganz nahe an diese Frau zu bringen und ihn teilhaben zu lassen an ihrer unerschütterlichen Offenheit. Der Leser erfuhr, wie diese Frau jene Zeiten sah, als Wirtschafts- und Weltpolitik so fatal auf Deutschland gezielt und dort ein Unglück ausgelöst hätten, das bis heute so viele Biographien erschüttert hielte. Und inmitten der anrollenden Katastrophe erfuhr der Leser vom kleinen Glück dieser jungen Frau, von ihrer Heirat mit Richard Kronhardt und zugleich von der geisterhaften Fernsicht, mit der das junge Paar bereits kurz nach der Hochzeit die Flucht angegangen war. Eine Emigration, die für beide trotz der tiefen Verbundenheit zu Familie und Heimat unvermeidlich war, und sie schafften es bis nach Zürich und tauchten dort unter.
So also waren Richard und Eva Kronhardt emigriert, und der Chefredakteur, wissend um die offene Art seiner Gesprächspartnerin, fragte nach dem Familienbetrieb. Ob die Maschinen in Bremen denn weiter Hakenkreuze gerattert hätten?
Die Stickerei? sagte Eva. Meine Güte, alles und jeder sei doch damals durchs Joch
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