Kronhardt
marschiert, und natürlich sei die Stickerei usurpiert worden und habe Hakenkreuze gerattert â das könne man nicht verschweigen. Und natürlich hätten die Maschinen Menschen gebraucht, die sie mit ihrem Spezialwissen bedienten. Doch es seien Menschen wie ihre Eltern gewesen, die aus Heimatliebe â und mehr: dem unerschütterlichen Glauben an heimatliche Zukunft â Stellung hielten und die Diktatur ertrugen. Und auch ihr zweiter Mann, Robert Kronhardt, sei so ein Mensch. Auch er habe die Emigration des jungen Paares von Anfang an unterstützt und sei selbst, auch aus tiefempfundener Verpflichtung gegenüber den nachfolgenden Generationen, in stiller Duldung unter der Diktatur verblieben. Robert habe an der Seite ihrer Eltern die Stellung in der Stickerei gehalten; er habe mit ihnen die Ausbombung erlitten, und als endlich die Engländer gekommen seien, wäre er ihnen unbewaffnet und mit erhobenen Armen entgegengetreten.
Sie wolle an dieser Stelle nichts beschönigen, sagte Eva. Um so weniger, als ihre ganze Geschichte noch von Zeitzeugen erinnert werde und zudem jederzeit überprüfbar sei. Und so sei es kein Geheimnis, daà Robert damals Uniform getragen habe. Diese Uniform, nichtwahr. Doch daà die Amerikaner ihn später als minderbelastet eingestuft hätten und eine Entnazifizierung nicht stattgefunden habe, offenbare die Wahrheit von Roberts Uniform; die opportunistische Funktionalität und dahinter die wahre Gesinnung ihres Trägers.
So also stand Robert in der Stunde Null, und keine Frage, daà er seine Hände unserer Stadt verpflichtete und auch dem Wiederaufbau der Stickerei. Keine Frage auch, daà Robert von Anfang an Kontakt hielt nach Zürich, wo sein Bruder Richard als Photograph arbeitete â als freier Künstler, nichtwahr, der seine Bilder machte, um die gefällte Kultur seiner Heimat neu zu befruchten.
Auch sie selber lieà sich von Zürich inspirieren; Freiheit und Kunst transformierten bald in ihr zu Sehnsucht â nein: einer tiefen Kraft für ihre Heimat, und so war sie im Frühjahr 46 wieder nach Bremen gereist; eine endlose Höllenfahrt, die ihren Glauben an Erlösung und Wiederauferstehung aber um so mehr entfesselte. Sie beratschlagte mit dem Vater und Robert, in Zürich beratschlagte sie mit Richard, und danach kam sie regelmäÃig, um aus der Stunde Null heraus einen neuen Anfang zu bauen. Es waren Jahre, von denen nur die Eingeweihten noch wüÃten, welchen Schmerz und welche Qual sie bedeutet hätten, und dann, als die Maschinen endlich wieder ratterten, als in der jungen Republik die erste Saat wieder keimte â dann, wie gesagt, der Doppeltod ihrer Eltern. Kaum daà die Morgenröte brach, war wieder endlose Nacht. Ganz alleine plötzlich, und aus dieser nachgerade biblischen Wucht heraus konnte Eva die Verpflichtung nicht nur für ihre Familie spüren, sondern darüber hinaus für das trauernde Land.
So pendelte sie; führte mit Robert die Stickerei, während Richard zu einer wunderbaren Quelle der Kraft avancierte â seine Kunst rückkoppelte quasi mit dem Wiederaufbau und setzte enorme Energien in ihr frei. Und keine Frage, daà Richard die Pläne zur totalen Rücksiedelung nach Bremen unterstützte â daà er alle Inspiration, zu der er fähig war, für die gemeinsame Zukunft gewissermaÃen kontierte. Das heiÃt, sagte Eva, denn auch in diesem Punkt wolle sie ihrer Maxime zu Offenheit treu bleiben, das heiÃt, in Wirklichkeit war die geplante Rückkehr für Richard eine emotionale Belastung. Nichtwahr, Richard sei auch als Künstler aus Deutschland geflüchtet, und man spaziere nicht mal eben so wieder dahin zurück, wo die Werke, die aus dem eigenen ästhetischen Empfinden heraus entsprungen seien, geschändet worden waren. Zumal, wenn gerade diese Werke â und eingebunden darin: der Künstler als Mensch â in der neuen Heimat Anerkennung gefunden hätten. Nein, sagte Eva. Leicht sei der Schritt zurück nicht gefallen, doch Richard Kronhardt sei einer jener seltenen Menschen gewesen, die gerade in der selbstbestimmten Wahl zur Veränderung eine tiefere Wirklichkeit hätten erkennen können; eine Freiheit, die ihm das Deutschland, dem er entflohen war, verwehrt hätte.
Doch dieses Deutschland gebe es nicht mehr, und ein Mensch mit wahrem Freiheitsideal, ein Mensch mit Blick für tiefere Wirklichkeit,
Weitere Kostenlose Bücher