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Kronhardt

Titel: Kronhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Dohrmann
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und fühlten sich von ihrer großspurigen Art übertölpelt. Andererseits sahen sie mit Abscheu, wie Willem, kaum daß er eine Arbeit begonnen hatte, schon wieder Feierabend machte und alles in seiner asozialen Art abwälzte. Und solange Barbara diese Einstellung noch unterstützte, würden sie sich erst recht auf keine Gespräche einlassen; und auch auf keine Diskussionen darüber, ob ihre Grundsätze und ihr Rüstzeug in diesen modernen Zeiten noch etwas taugten. Jede Andeutung darüber empfanden sie als Beleidigung, und wenn sie in ihrem neuen Doppelbüro saßen oder abends im Hartmann-Haus, waren sie sich vor allem einig darüber, daß die Entartung der Jugend immer weitere Kreise zog; und verhängnisvoller, daß diese Jugend bereits in Positionen drängte, die ehedem nur mit entsprechenden Grundsätzen und entsprechendem Rüstzeug besetzt werden konnten.
    So saßen die Alten beisammen und mußten mit ansehen, wie rings die Zeiten verfielen. Wie ihr Wort in der Welt immer weniger Gewicht hatte und wie schäbig diese Welt mit ihrer großen Lebenserfahrung umging, die noch über die Stunde Null hinaus alle Fundamente für eine verläßliche Zukunft gelegt hatte. Und noch der Chefredakteur der großen Zeitung, den sie beide für einen integren Mann gehalten hatten, vertröstete sie bei jeder Nachfrage, während wöchentlich eine neue Folge zur bremischen Geschichte gedruckt wurde. So saßen sie und fühlten sich von der Welt betrogen.
    Vor allem die Mutter entwickelte in den ersten Zeiten im Speicherhaus eine Boshaftigkeit gegen Willem und Barbara, die sie auch noch ganz offen rechtfertigte. Von Willem fühlte sie sich um ihre größten Opfer betrogen und machte ihn zur Schande einer ganzen Blutslinie; zu einem Teufel, der seine eigene Mutter besudelte, und sie nannte ihn schlimmer als seinen Vater. Barbara hielt sie die Auftragslage vor, die Liste der säumigen Kunden und die Forderungen der Bank.
    Ihr spaltiger Mund verzog sich und machte aus ihrem Gesicht eine Fratze. Und um Schmerz und Heimweh noch extra zu demonstrieren, holte sie aus ihrem alten Büro den Kalender mit den Kreuzen und hängte ihn dort auf, wo Barbara ein teuer gerahmtes Gemälde für sie plaziert hatte, das die Alten sich übrigens selbst ausgesucht hatten.
    Kronhardt unterstützte seine Frau vor allem, wenn er mit ihr alleine war. Dann konnte er die Wucht ihrer Worte in sich spüren, diese mächtige Wahrheit, dieses Bekenntnis zum Heimweh, und er gab ihr in allem recht und befeuerte sie. Wenn seine Frau jedoch nicht dabei war, erschien er Barbara gegenüber freundlich und war auf eine seltsam unbeholfene Art immer zu einem Scherz bereit. Auch gegen Willem lachte er zuweilen, dann eher hölzern, oder er klopfte ihm auf den Rücken, doch sobald seine Frau dabei war, mahlte er stumm mit den Kiefern, seine Kaumuskeln sprangen hervor, und wenn seine Frau es von ihm erwartete, sagte er, ja, genau, oder das sehe ich auch so.
    So fühlten die Alten sich von der Welt betrogen, und Willems Mutter schien erst wieder milder zu werden, als der Chefredakteur ihr endlich ankündigte, die Serie nunmehr mit der Bremer-Stickerei-Manufactur fortzusetzen. Und als die Mutter dem Chefredakteur dann ihre Geschichte erzählt hatte, war der Mann schlichtweg begeistert; er würde der Bremer-Stickerei-Manufactur, aber vor allem der Geschichte der Eva Kronhardt, geborene Hartmann, noch eine Extraseite einräumen. Und im Speicherhaus konnten sie sehen, wie die Alte plötzlich seltsam milde erschien. Gegen Barbara lächelte sie, und ob Willem mittags ging oder ob er dann erst kam, schien ihr nichts mehr auszumachen; sie erkundigte sich nach diesem oder jenem, sie gab Anweisungen, und wenn die Jüngeren Gegenvorschläge entwickelten, gab sie sogar ihre sonst so kategorische Haltung auf. Sie schien ihre Energie auf eine Art umzuwandeln, die bald alle Bereiche erfaßte; sie trieb fällige Zahlungen ein, gab zu, daß die Auftragslage in Wirklichkeit gut war, organisierte ein spontanes Fest in der Kellerbar, und gemeinsam mit Kronhardt inspizierte sie täglich die Produktion in der neuen Halle, und das stete Rattern des modernen Parks schien ihr jetzt noch extra gutzutun.
    Bremer-Stickerei-Manufactur, stand auf der ersten Seite, und der Chefredakteur hatte dazu ein Photo ausgewählt, in dem sich alles Heimweh seiner Leser konzentrieren mußte;

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