Kronhardt
man über die Schneegrenze hoch. Man kann tagelang unterwegs sein, ohne jemanden zu treffen; keine StraÃen, Dörfer, nichts, und als Ziegenhirt war Marduk ganz allein mit den Hunden und der Herde. Ãber ihnen Sonne und Sterne, und so sind sie durch Frühling und Sommer gezogen, haben an Quellen gerastet und in Höhlen geschlafen. Marduk weiÃ, wo es Beeren gibt und wie man Fallen baut; er kann schlachten und sich am Himmel orientieren, und wenn er abends am Feuer saÃ, machte er Rechenspiele mit den Sternen. Darum, sagte Hans, ist der Marduk auch so gut in Mathe.
Er konnte jede seiner Ziegen an Gang oder Stimme erkennen und wuÃte immer, wie gesund sie waren; er wuÃte, welchen Wert jedes Tier hatte, und immer dachte er an den Spätsommer, wenn er die Herde in das Tal zurücktreiben würde, wo seine Familie den Winter verbrachte. So war er unterwegs, von Sonne zu Sonne und Mond zu Mond, ein Junge, der überleben konnte, wo die weiÃen Teufel verreckten. Er weiÃ, wie man Grubenottern oder Taranteln aus dem Weg geht, die Wölfe tricksten ihn aus, und dann trickste er die Wölfe aus. Er beobachtete die Welt und lernte Dinge zu sehen, die noch verborgen waren; er kannte das Wetter, und zweimal rettete er ein Zicklein vor dem Adler.
In seinem letzten Hirtensommer stieà er auf eine Handvoll Soldaten.
Ihr Jeep stand auf einem PaÃ, und sie lehnten mit baumelnden Gewehren dagegen. Als die Herde auftauchte, machten sie SpäÃe, lachten zahnlos und spuckten. Marduk gab den Hunden einen Pfiff, daà sie die Herde von den Soldaten wegtrieben, und die Hunde waren auf Zack. Die Soldaten lachten und spuckten, und als die Herde auf einer Flanke war, lief einer von ihnen hoch und scheuchte den Haufen auseinander. Um den Jeep grölten sie, die Hunde bellten, und als einer nach dem Soldaten auf der Flanke schnappte, kriegte er den Gewehrkolben auf den Schädel. Der Schädel platzte, und vom Jeep flammten die Mündungen, und bald sprangen die Echos zwischen den Bergflanken. Die Herde schlug hin, die Herde brach auf, und ein Tier spieÃte sich in den schwarzen Ast einer vom Blitz gefällten Kiefer. Die Hunde zerwinselten im Blut, und Marduk rannte durch die Felsblöcke bis hinter die Nacht. Zwei Tage später stieà er auf ein Zicklein, und mit dem Tier im Arm gelangte er ins Tal.
Und jetzt, sagte Hans, lernt Marduk den Aalfang.
Er lernte schnell, und wenn sie drauÃen waren, wuÃte Marduk Sachen, von denen Hans selber noch nie gehört hatte. So lernten sie beide, und weil Marduk so gute Ideen und ein verdammt gutes Gespür hatte, fingen sie die Aale auch heimlich. Mit selbstgebastelten Reusen, ein ganz neues Modell, meinte Hans, Taschenfallen für den schnellen Einsatz, und sie räucherten die schwarzen Aale, und Marduks Vater verkaufte sie an die deutschen Müllkutscherkollegen.
6
Kronhardt brachte zwei Hirschkäfer von einer Börse mit, setzte sie in ein Terrarium und wartete darauf, daà sie kämpften. Doch sie kämpften nicht.
Willem schlug vor, es den Käfern gemütlich zu machen, er besorgte Laub und morsches Holz, und bald verkroch sich jeder in eine Ecke.
Kronhardt gefiel das nicht; er schälte einen groÃen Ast und legte das blanke Stück wie eine Brücke von einer Ecke in die andere. Er war ungeduldig, sie sollten kämpfen. Doch die Käfer wollten nicht; sie betasteten sich kurz, wichen zurück, und wenn Kronhardt sie erneut aufstellte und gegeneinanderdrängte, bockten sie und lieÃen sich schlieÃlich von der Brücke fallen.
Sobald Willem die Tiere in die Hand nahm, konnte er sich für ihre Anatomie begeistern â die Greifhaken an den Tarsen, Glätte und Maserung der Flügeldecke, und der wuchtige Schild erschien wie eine Geistermaske. Auch die geweihartigen Zangen gefielen ihm. Er machte harmlose Versuche, er staunte über die Fähigkeiten dieser so plump erscheinenden Tiere und konnte sehen, worüber er in den Büchern gelesen hatte; Schmetterlinge, Heuschrecken und jetzt auch die Hirschkäfer weiteten die Wirklichkeit, und Willem freute sich, daà er in einer Welt lebte, die viele Welten war.
Zu Weihnachten wünschte er sich ein Mikroskop.
Kronhardt bescherte den Hirschkäfern eine Braut, doch auch das Weibchen verzog sich, und die Männchen machten weiterhin keine Anstalten zu kämpfen. SchlieÃlich kaufte Kronhardt eine Vogelspinne, lieà sie hungern und setzte
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