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Kronhardt

Titel: Kronhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Dohrmann
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den ersten Käfer zu ihr. Hing mit einer Lupe über dem Glasquader, horchte mit einem Stethoskop nach den Schrillgeräuschen der Spinnenbeine, und so lösten sich die Käfer auf. Willem sah nicht zu; später fischte er die Chitinreste aus dem Papierkorb und betrachtete sie unterm Mikroskop.
    Von der nächsten Börse brachte Kronhardt Treiberameisen mit, die Ameisen erledigten die Spinne, dann ertränkte Kronhardt die Tiere in Öl und jagte sie durchs Klosett. Daß Willem sich für die Kämpfe nicht begeistern konnte, kränkte ihn. Und so saß er wieder am Eichentisch und brachte Schmetterlinge in sein Ordnungssystem von groß und klein.
    Willem hatte sich neue Bücher ausgeliehen, und um Kronhardt bei Laune zu halten, las er etwas über staatenbildende Insekten vor. Tatsächlich wurde der Alte neugierig und wollte bald mehr wissen. Er interessierte sich für die Mechanismen, die den einzelnen zugunsten eines Staates auflösten, vor allem für die Verteidigungsmethoden und Selbstaufopferungen einiger Soldatenarten. Und wenn Willem dann von Soldaten vorlas, die Kanonen auf den Köpfen trugen oder Leiber hatten, aus denen sie wie mit Maschinengewehren gegen die Feinde feuerten, saß Kronhardt ganz still da. Daß diese Tiere in der Lage waren, so lange gegen den Feind zu feuern, bis es ihnen den Leib zerriß, schien ihn zu faszinieren, und er ermunterte Willem herauszufinden, wie dieses Prinzip der totalen Selbstaufopferung funktionierte. Ob es sich nicht auch auf die Menschen übertragen lasse und ob nicht auch hier der einzelne zugunsten eines Staates aufgelöst werden könne.
    Einige Tage später las Willem aus der Antike vor. In Sparta hatten sie die Kinder kategorisch zu Kriegern herangezüchtet; kaum daß sie laufen konnten, wurden sie bereits selektiert. Wer in seinen Anlagen zu schmächtig erschien, wurde in einen Brunnen geworfen, die anderen gedrillt. Die Kleinsten von etwas Größeren, die etwas Größeren von noch Größeren, und so wurden sie mit dem Willen zu Grausamkeit und Tötung abgerichtet. Bereits die Halbwüchsigen mußten wie furchtbare Krieger erscheinen, und Kronhardt saß still und mit der Augenlinse über seine Schmetterlinge gebeugt, während Willem vorlas.
    Willem konnte bald gut voraussagen, welche Themen den Alten interessierten; um so mehr, als Kronhardt nun regelmäßig Tiere von den Börsen mitbrachte und gegeneinander ins Terrarium setzte. Vor allem die Treiberameisen hatten ihn überzeugt, weil er sicher sein konnte, daß sie als Jäger funktionierten, und manchmal setzte er einfach einen kleinen Säuger dazu oder einen Frosch. Doch er besorgte auch Gottesanbeterinnen und Skorpione, und während er die Vorgänge im Terrarium mit der Lupe verfolgte, las Willem über die unglaublichen Fähigkeiten vor, mit denen diese Tiere seit Jahrmillionen überlebten.
    Von den Wanzen hatte er schon einmal gelesen und nicht verstanden, warum die Männchen ein Instrument hatten, mit dem sie bis in die Herzen ihrer Weibchen stoßen konnten. Als er erneut über dieses Phänomen las und dieses Mal herausfand, daß das männliche Begattungsorgan wie eine Art Dolch konzipiert war, der durch den Panzer der Weibchen in ihr Herz bohrte, überlegte er, warum so etwas geschah. Ob Herzendurchstoßen womöglich ein Vorteil sein konnte im Überlebenskampf.
    Im Lexikon sah er zuerst unter Begattung nach.
    Die geschlechtliche Vereinigung zweier Individuen zur Reproduktion, stand dort, und das männliche Organ, das während dieses Vorgangs Spermien in die weiblichen Geschlechtswege beförderte, wurde Penis genannt.
    Frauen hatten anscheinend keinen Penis, und im Lexikon stand, daß der letzte Abschnitt ihrer Fortpflanzungsorgane Vagina hieß.
    Spermien waren männliche Keimzellen, die weibliche Eizellen befruchteten, und Reproduktion bedeutete, daß bereits vorhandene Individuen neue Individuen erzeugten, und so stellte Willem sich seine Eltern vor, der väterliche Penis ein Dolch, der sich durch Fleisch und Knochen bis ins Herz der Mutter gestoßen hatte. Durch den prallen Busen, durch die Rippen und hinein ins Zentrum der Lebenskraft; hinein in den Sitz der Seele und die Quelle der Liebe. Ins mütterliche Herz, dachte Willem, wo es schlägt und saugt und pumpt, und so also werden die Spermien durch den Kreislauf getrieben. Und wegen der Narbe, dachte Willem,

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