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Kronhardt

Titel: Kronhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Dohrmann
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findet dann im Körper der Frau statt. Ihr Hormonhaushalt verändert sich, das sexuelle Verlangen wird runtergefahren, während die Männer bereits wenige Stunden später wieder scharf werden können. Schärfer als jeder Bock, haben Sie gesagt. Oder Rammler oder Straßenköter.
    Na prima, Junge. Und Blask schlug auf den Tisch. KnockenFickenVögeln!
    Was ist das?
    Die Leute kommen hierher und demaskieren sich. Da kriegt man was zu hören, das sind Einblicke in abgründige Welten, Junge. Und Knocken, Ficken, Vögeln, da werden sie knallrot, weil sie die Bedeutung nur zu gut kennen, doch die Wörter nicht aussprechen können. Und wenn sie eheliche Pflichten sagen, Beischlaf oder Liebe machen, versinken sie im Sessel.
    Er klopfte sich auf die Schenkel, aus dem Stirnspiegel streuten Lichtblitze.
    Nach einer Zeit sagte Willem: Verpetzen Sie mich?
    Und Blask kniff die Augen zusammen.
    Ich mag keine Kinder, sagte er dann. Und die Erwachsenen schon gar nicht. Ich bin Einzelgänger und habe regelmäßig Sex mit einer Einzelgängerin. Oder mit zweien. Und ich bin Arzt. Was hier gesprochen wird, erfährt kein Dritter. Verstehst du das?
    Ja.
    Hier sind wir gesetzlich Verbündete.
    Sie dürfen gar nichts sagen?
    Nein.
    Und ich?
    Du kannst alles, was ich dir anvertraue, rausquatschen.
    Glauben Sie, das würde ich tun?
    Mir ist das egal.
    So was mach ich nicht.
    Glaub ich dir. Aber die anderen petzen, was.
    Bei den meisten muß man vorsichtig sein.
    Kannst du jemandem vertrauen?
    Ja.
    Schlägt die Mutter dich?
    Nein.
    Der Stiefvater?
    Nein. Aber sie streichen mir die freie Zeit.
    Einem Menschen seine freie Zeit nehmen.
    Ja.
    Sein Recht auf Selbstbestimmung nehmen.
    Ja.
    Ihn zu einer Handlung nötigen. Das ist körperliche oder seelische Gewalt. Ein Kapitalverbrechen.
    Meine Mutter …
    Deine Mutter ist Erziehungsberechtigte.
    Ja.
    Und Erziehungsberechtigte handeln planvoll und zielgerichtet. Sie steuern Persönlichkeitsmerkmale und erwünschtes Verhalten, sie passen Handlungen an die Anforderungen an und fügen ein in die Rolle innerhalb der Gesellschaft.
    Aber dürfen sie alles?
    Blask lachte. Sie meinen es gut. Sie meinen es immer gut.
    Und die Lehrer.
    Zu beweisen, daß die es nicht gut meinen, ist beinah unmöglich. Und wenn sie Schaden anrichten, verschmiert er im diffusen Einordnungsprozeß des einzelnen in die Masse.
    Die Lehrerin hat mir die Ohren langgezogen.
    Blask stand auf und stolzierte durchs Zimmer.
    Und sie drangsaliert den Marduk.
    Wenn ich dir ein Attest über Ohrenschmerzen ausstelle, schaltet die Schulbehörde ihre Ärzte ein, und die werden dich durch die Mangel drehen und alles widerlegen. Deine Mutter wird noch mehr freie Zeit streichen, und du stehst schlechter da als jetzt.
    Ich hab keine Ohrenschmerzen.
    Ohrenschmerz, Kopfschmerz, Seelenschmerz. Das System ist perfide, das System ist absolut. Es gibt sich volksherrschaftlich, doch wer darauf pocht, bekommt perfekt durchorganisierte Bürokratie; eine formlose und niemals zu greifende Macht.
    Willem sah zu, wie der Doktor seine Runden um den Schreibtisch zog. Dann setzte Blask sich wieder und sah ihn an.
    Immerhin gestattet das System, es zu verachten. Und gestattet einzelgängerische Randexistenzen – natürlich nur so lange, wie Wirtschaft und Ordnung daran keinen Schaden nehmen. Und aus Systemsicht ist es kein Verbrechen, einem Menschen seine freie Zeit zu nehmen. Der einzelne hat sich unterzuordnen, und schlimmer: sieht es selbst als eingefleischte Pflicht, sich unterzuordnen, und denunziert jeden, der es anders sieht. So drangsaliert das System sein Volk, sich gegenseitig zu drangsalieren, und das Volk vernimmt voller Stolz die Wörter Rechtschaffenheit und Ordnung und Wir, und die Statistiken zum Aufschwung nimmt jeder persönlich und identifiziert sich mit der schwarzrotgoldenen Volksherrschaft, während die großen Spießgesellen der Diktatur da weitermachen, wo sie 45 aufgehört haben. Sie werden reicher und mächtiger und skrupelloser und verschleiern alles im Wirtschaftswunder, das fleißig Brot und Volkswagen und Telefunkenapparate spuckt. Na, was sagst du dazu?
    Willem sagte nichts, und der Doktor sprang wieder auf und lief zu den Bedarfsschränken.
    Mit den Kindern setzt sich das ganze Elend nur fort, da bin ich völlig ohne Illusionen. Und wenn man dieses Elend verstehen will, muß man Ursprünge erforschen. Dann steckte er Willem

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