Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Kronhardt

Titel: Kronhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Dohrmann
Vom Netzwerk:
Rädern, und mein Zug donnerte dahin. Wurde hierhin geworfen oder dahin, stieß durch riesige Kandelaberkakteen, stieß durch Nebelwald und Moos, und alle Richtungen lösten sich auf.
    Meine Herren! Und der Mann steht auf. Strafft die zerlumpte Uniform, verbeugt sich. Was hätte ich machen sollen? Dann sinkt er auf den Stuhl zurück, der Kopf auf den Tisch, und die Mütze fällt. Der Mann weint, und die Frauen streicheln ihn. So sitzt er da, seine Stimme nur noch ein Winseln. Die Gleise hatten immer Gültigkeit; sie waren die feste Regel in meinem Leben. Und plötzlich diese Welt wie ein Bienenschwarm.
    Obwohl es ringsherum tropisch ist, sinkt die Sonne nicht mehr hinter den Horizont. In wiederkehrenden Schleifen färben die Strahlenbündel den Morgen- und den Abendpunkt, dazwischen pendelt eine gleißende Sonne, und die Luft ist klebrig. Willem und die Ramows haben Hängematten aufgespannt; sie dümpeln dahin, trinken Kokosmilch, essen das Fruchtfleisch, und aus dem Kassettenrekorder spielt Cumbia- oder Mambomusik. Noch gegen Mitternacht ist der Himmel hell, und auch in tiefer Nacht bleiben den Männern die Sterne im Licht verborgen.
    Die Hütten stehen auf einem Hügel, und nach Osten hin haben sie Blick auf die See. Eine kleine Bucht liegt unter ihnen, und wenn das Wasser fällt, erscheinen Stromatolithen, eine große Herde, die wie Steinsäulen unter der Sonne trocknen. Nach Westen hin steht der Wald, und aus den gefächerten Kronen leuchten die Blätter in allen Jahreszeiten.
    Nach ein paar Tagen können die Männer beobachten, wie die Sonne bald tiefer unter die Wipfel sinkt. Bald darauf gibt es eine kurze Nacht, dann eine längere, und dann kommt die Sonne nicht wieder. Über ihnen die Sterne bleiben eine dauerhafte Erscheinung, und in den ersten Nächten markieren nur noch die periodischen Mondvorgänge eine vergehende Zeit.
    Vor allem der Lokführer scheint sich in der endlosen Dunkelheit zu verlieren; er verlottert nun gänzlich, und aller Antrieb ist nur noch auf Nahrung und Beischlaf reduziert. Und in der ersten Zeit, als der Sichelmond sich auswächst, geben die Frauen sich seinem Drängen durchaus hin. Doch bald schon verschaffen sie sich auch jenseits dieser Zeremonien einen verläßlichen Rhythmus, und so beobachten sie die wiederkehrenden Bahnen der Gestirne, legen eine Feuerstelle an und richten sich Schlaf- und Wachzeiten ein. Trotz seiner äußeren Verrohung bleibt der Lokführer friedlich, als sich die Frauen ihm schließlich ganz verschließen; er trinkt aber um so mehr und singt seine Lieder ohne Rücksicht.
    Die See hält noch Wärme gespeichert, doch wenn der Wind vom Land her einfällt, wird es kalt. Aus dem Wald stoßen die Rufe der Nachttiere und immer wieder Geräusche einer Jagd; auch die sonst tagaktiven Tiere sind zu hören, und oft genug kommen sie auf den Siedlungshügel, rumoren, dringen in die Hütten.
    Gegen Kälte und Übergriffe halten sie bald ein durchgängiges Feuer, und bald bündeln sie ihr Leben um die Feuerstelle. Auch der Lokführer fügt sich schließlich in die geordneten Abläufe; sie sammeln Holz, sie schöpfen Wasser; sie legen Netze mit den Gezeiten aus, und einmal fangen die Frauen ein entlaufenes Hausschwein.
    Wenn sie im engen Kreis unter den Sternbildern sitzen, steigt der Rauch gegen den Mond, und im zuckenden Schein sehen ihre Gesichter uralt aus. Anfangs sind es vor allem die Frauen, die Geschichte an Geschichte reihen und Bilder erschaffen, als säßen sie alle im Varieté. Und dann läßt auch der Lokführer Bilder aufsteigen, und im Feuerprasseln lauschen sie seinen Erinnerungen und hören das Schlagen der Gleise. Sie lachen viel, sie können Tugend aufflammen sehen und Veranlagungen, und auch bittere Erfahrungen kommen hervor, bald seltsam umgewandelt unter den Sternen. Und so erzählt auch Willem. Erzählt von seinem Vater; von der gemeinsamen Fahrt auf der Alk und dem plötzlichen Tod. Und so sitzt er da, ein Sohn, der seinen Vater lebendig hält; der den staunenden Blick des Vorfahren mit dem eigenen Blickwinkel verschmelzen läßt, und im Feuerlicht scheint seine Gestalt bald zeitlos. Er erzählt von Konetzkes Anruf, den Enthüllungen der Detektive, erzählt von Steiner und von Wrangel, von Kronhardts Tod, doch die Frauen am Feuer sind vor allem ergriffen davon, daß Willems Mutter seinen Vater

Weitere Kostenlose Bücher