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Kronhardt

Titel: Kronhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Dohrmann
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ermorden ließ, daß er wegen der Liebe zu seinem Sohn sterben mußte. So sitzen sie unter den Sternen, und Willem ahnt die Tränen der Frauen, und auch der Lokomotivführer schluchzt. So sitzen sie, Menschen, wie sie seit jeher das Böse in die Welt gebracht haben und das Gute zugleich, und im Widerschein der Flammen sieht es aus, als lösten sich Schichten aus ihren Gesichtern und offenbarten das Erbe der Vorfahren.
    Der Tag kommt wieder, als hätte diese Verläßlichkeit nie ausgesetzt. Sie bereiten die erste Mahlzeit, Fladen liegen auf dem Feuer, Kaffee brüht, und hinter den Baumwipfeln durchstößt Dämmerung den Horizont. Ein kaum sichtbarer Übergang zuerst, dann verschmieren die scharfen Grenzen der Dunkelheit, und eine rote Schmelze dringt durch. Bald ein violetter Strom gegen die Himmelskugel, bald unaufhaltsames Licht, das alles Sternefunkeln unterspült. Als die Sonne aufgeht, applaudieren sie und schreien wie im Varieté, und im Tanz der Frauen werfen die Pailletten wunderbare Reflexe. Auch der Wald wirft das Licht zurück, und erst als es wärmer wird, verdampft der Tau, und silbrige Schwaden ziehen gegen die Wipfel. Vögel fliegen, manchmal greifen Lichtbündel in die Tiefe, und Tiere erscheinen in den huschenden Mustern.
    Gegen Mittag spannt sich aus der Ferne ein Ton. Zertragen zuerst und elastisch in der Luft, doch der Lokführer springt sofort auf. Und dann können auch die anderen den Pfiff hören – wie der heisere Grundton auf anhaltende Höhe zieht, und sie sind sich einig, daß er näher kommt. Der Lokführer scheint die Verbindung bis in seine Fasern zu spüren; er ist aufgebracht, verliert sich in Tatendrang, und erst als die Frauen ihm zur Hand gehen, beruhigt er sich etwas. So steht er bald mit ausgeklopfter Uniform da; Gesicht und Haar gewaschen, die Dienstmütze halbwegs in Form, und unter seiner Führung ziehen sie los. Den Siedlungshügel abwärts, dann den schmalen Weg durch Farn und Bärlapp bis zur ersten Gabelung, und ohne zu zögern, schlägt der Lokführer landeinwärts. Eine Stunde vielleicht marschieren sie am Waldrand, dann drängen Plantagen in den Bewuchs, und bald geben erste Wiesen den Blick frei in die Ferne. Sie sehen Rauch, sie hören Hunde, und dann erhebt sich ein Kirchturm. Es ist eine kleine Stadt, und als sie nachmittags anlangen, sind die Straßen beinah leer, und alle Geschäftigkeit liegt im Schatten. Ein paar Alte dösen unter den Arkaden, um den Brunnen spielen Kinder, und das Leben erscheint wie immer. Der Weg zum Bahnhof ist nicht ausgewiesen, doch der Lokführer zieht unbeirrt voran. Und tatsächlich können sie schon bald den Uhrenturm sehen, und einmal blitzt hinter dem weißgetünchten Gebäude auch die Gleisspur auf. Der Lokführer ist jetzt wie verwandelt; als leuchteten hinter seiner Unordnung die alten Fähigkeiten durch, und sein Gang unter den Epauletten ist aufrecht. Ohne weiteres weist er ein paar Burschen zurecht und geht dann zielstrebig auf die Lokomotive zu. Die Frauen sehen ihm nach, beratschlagen kurz, und dann umarmen sie Willem und die Ramows. Schließlich, meinen sie, müsse der Lokführer es wissen, und wenn er sage, dieser Zug fahre zurück in die Hauptstadt, wollten sie es gerne glauben. Und so steigen sie auf, werfen vom Tritt noch eine Kußhand.
    Von einem Händler, der seine Ware zu Pyramiden aufgebaut hat, erstehen die Ramows Obst. Willem fragt nach dem Wetter, und der Händler hebt die Schultern – was soll schon sein; die Jahreszeit bringt Hitze, aller Regen verbleibt diesseits der Berge, wenn nicht heute, dann eben morgen.
    Mit dem endgültigen Pfiff der Lokomotive springen auch die Männer kurz entschlossen auf. Vom Perron des letzten Waggons schauen sie zu, wie sich hinter ihnen die Welt verkleinert; bald spüren sie die Schläge zwischen den Schwellenlängen, bald den beruhigenden Takt.
    Es geht gemächlich bergan; in Schleifen, die noch die Abendröte durchziehen, und hinter dem weiten Land zieht die See bis in den Horizont. Rings steigen die Nachtgerüche, bald überzieht eine Moderschicht das Gestein, Kletterpflanzen hängen auf der Strecke, und die Männer können Frösche hören und Zikaden.
    Zur Morgendämmerung geht ein Bursche in weißer Livree durchs Abteil. Er hat warme Koteletts dabei, und auf dem Rücken trägt er einen Kanister, aus dem er Kaffee oder

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