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Kronhardt

Titel: Kronhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Dohrmann
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stellt eine volle Flasche auf den Tisch und greift in das Fleisch der Frauen.
    Die eine ist üppig, mit eingefallener Turmfrisur, und sie trägt Reste eines Paillettenkleides. Die andere wirkt unscheinbar, mit saugenden Wangen. Sie lassen den Mann gewähren und trinken aus der Flasche.
    Aus den Fugen, ruft der Mann.
    Die Üppige lacht, daß ihr Busen zittert. Seit ich lebe, ist unser Land aus den Fugen.
    Die Unscheinbare sagt: Und davor wars auch nicht besser.
    Da hören Sie es! Und der Mann schlägt auf den Tisch, trinkt mit springendem Kehlkopf.
    Die Ramows grinsen, Willem kratzt sich am Kopf.
    Und dann sitzen sie alle um den Blechtisch; von den Pailletten der Üppigen zittert das rote Licht auf ihren Gesichtern, die Mambomusik schmettert, und sie trinken aus der Flasche.
    Ich bin Lokomotivführer, sagt der Uniformierte. Aus dem Hochland runter an den Golf brauche ich zwei Tage, zurück dauert es länger, und ich mache die Strecke seit zwölf Jahren. Er starrt; dann springen ihm Tränen aus den Augen, und er trinkt. Bitte! Ich bin nie pünktlich gewesen; man hätte das nicht verziehen. Man kalkuliert hier mit Verspätung, sie ist ein Faktor, und was hätte ich mit Pünktlichkeit nicht alles anrichten können. Aber es ist ja viel schlimmer gekommen, und der Lokführer vergräbt den Kopf in seinen Händen.
    Die Unscheinbare kichert und saugt an ihrem Daumen.
    Die Üppige sagt: Schauen Sie, was aus uns geworden ist. Wir sind Schauspielerinnen, direkt aus dem famosen Varieté, und in der Hauptstadt liegen sie uns zu Füßen. Und als wir von der Bühne gingen, war die Welt noch in Ordnung – der Beifall bis in die Maske, ein Glas Wasser, frischer Puder, und als wir auf die Zugabe loswollten, war das Publikum weg. Alles war weg. Bühne, Theater – die ganze Hauptstadt, und wir landeten aus der Maske direkt auf dem Bahnsteig, und da stand der Lokführer mit seinem Zug.
    Bitte, meine Herren, da hören Sie es! Der Lokführer sieht mit roten Augen auf. Dann sagt er: Wir haben Wasser gefaßt wie immer. Der Fender war aufgefüllt, und ich habe die Pfeife gezogen, damit jeder weiß, es geht bald los. Trotzdem bleibt noch Zeit für ein Schwätzchen, ich habe mit dem Bahnhofsvorsteher ein Gläschen genommen wie immer, und auch als wir dann abfuhren, schien alles normal. Wir zogen den gewohnten Weg aus der Hauptstadt raus in die Hochebene; vorbei an den Pyramiden und vor der großen Schlucht dann die Weiche nach Osten. Bald erschienen die schneegedeckten Kuppen der Vulkane, zum Abend hin färbten sie sich rot, und ich lag ebensogut in der Zeit wie in den zwölf Jahren zuvor. Gegen Mitternacht fielen die kalten Abwinde, ich heizte ein bißchen auf, und im Mondlicht erschienen die Vulkanspitzen bläulich.
    Zur Dämmerung brachte mir der Bursche ein ordentliches Kotelett und frischen Kaffee, im Radio lief Tanzmusik, und mit Sonnenaufgang begannen die langen Schleifen aus dem Hochland; abwärts an mächtigen Flanken wie an einer Spindel, über Schmelzwasserschluchten und rein in abgelegene Kiefernwälder. Es war eine langsame Fahrt durch den Morgen, und während die Sonne stieg, stießen wir tiefer. Wir spürten, wie der Luftdruck zunahm, wie die dünnen und würzigen Gerüche aus der Höhe sich verflüchtigten, und bald überzog eine rote Moderschicht das Gestein, bald hingen Kletterpflanzen auf der Strecke, und man konnte Frösche hören oder Zikaden. Alle paar Minuten kletterte das Thermometer, im Radio wurden Nachrichten gesendet, und als wir den Fluß erreichten und gemächlich seinem Lauf ins fruchtbare Tiefland folgten, geschah es.
    Der Lokführer nimmt die Mütze ab und rauft sich die Haare. Dann springen wieder Tränen aus seinen Augen, und er muß trinken, bevor er weiterspricht. Aus dem Nichts heraus, sagt er. Und alles. Alles, was ich vor mir sah, war in Bewegung. Die Welt ein Bienenschwarm, was fest war, löste sich auf, und ich wollte schreien, ich wollte bremsen, doch was sollte ich tun? Diese Welt schwirrte auf uns zu, dieses Schwirren erfaßte uns, und bald schob sich der Fluß durch die Luft; eine Plantage schob sich durch den Fluß, vor meinen Augen zerflimmerten die Berge und unter mir die Schienen. Meine Herren! Können Sie sich so etwas vorstellen? Die Schienen zerliefen unter mir. Ein Strang, eine Gabelung, linksherum, rechtsherum, so zerliefen mir die Gleise unter den

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