Kronhardt
den Kosmos. Wer aber schwach sei und dumm, sagte von Wrangel; wer dem kapitalistischen Schein erliege und die amerikanischen Gerüchte von Freiheit glaube oder weitergebe, der sei ein Schädling und gehöre aussortiert. Wahr sei nur, sagte er, was für die Sowjetvölker gut wäre. Und so lieà er Juri-Gagarin-Gedächtnissekt ausschenken.
Schon im nächsten Jahr wurden die Bilder von Apollo 11 aus dem Weltraum gefunkt; dieser kleine Schritt eines Kapitalisten, dieser Griff nach den Sternen und das in den Mondstaub getriebene amerikanische Banner waren für von Wrangel eine Demütigung. Ein Schlag gegen seine demagogische Kunst und die Wissenschaft seiner Worte, und er versuchte auch gleich, diese Scharte wieder auszuwetzen. Nannte die amerikanischen Bilder eine Schimäre, ein lupenreines Produkt der kapitalistischen Illusionsindustrie, und er fühlte sich berufen, die Sowjetvölker ein für allemal gegen diese Trugbilder zu rüsten. Sie mit der Wahrheit des totalen Sozialismus widerstandsfähig zu machen gegen die Krankheit des amerikanischen Traums.
Doch in Moskau wollten sie keinen geistigen Schaum, sondern Zwecktätigkeit. Und so schickten sie von Wrangel zurück in sein Geheimlabor und erwarteten, daà er seiner Verantwortung gerecht würde.
In weicher Linie stehen Kiefernwälder gegen den Himmel, ihre Farben vertiefen im klaren Licht. Die Luft stöÃt kühl und scharf in die Nase, und vom Perron erscheint die Welt in unverrückbarem Zustand. So ziehen sie in weiten Schleifen gegen das Hochland; unter ihnen leuchten Mohnfelder, und aufwärts treiben Agaven oder Kakteen aus rotgebändertem Gestein. Der Rauch aus den Hütten steht senkrecht, manchmal winken Kinder an den Gleisen, oder Hunde jagen dem Zug hinterher. Sie durchstoÃen einen Paà und fahren ein in die Ebene eines ausladenden Tals. Entlang der Strecke liegt ein Dorf, und schon aus der Ferne sind die Pfade zu sehen, die wie Adern aus den Bergen hinabziehen. Die Häuser sind alt und solide, und es gibt einen kleinen Bahnhof. Der Zug pfeift, als er einläuft, und ein paar Passagiere warten bereits. Es sind harthäutige Menschen; sie haben Bündel und Kinder dabei, Truthühner und Mais. Auch ein paar Händler steigen auf, bieten Stricksachen an oder Hausmannskost, und sie sprechen in einem wohlklingenden Singsang.
Als der Zug wieder anfährt, liegt Mittagslicht auf dem Tal. Voran gegen den Horizont stehen schneebedeckte Gipfel.
Die Frauen erscheinen frisiert auf dem Perron, sie duften und tragen Tücher über den Schultern. Sie freuen sich, die Männer zu sehen, plaudern, sind sicher, bald wieder im Varieté zu sein.
Zum Nachmittag werden sie hungrig, und die Frauen schlagen vor, in ihrem Abteil zu essen. Die Fahrgeräusche in den Waggons sind laut; manchmal ruft eine Ziege, die Köpfe der Passagiere treiben im Halbschlaf dahin. Das Abteil ist vorne, und auf ein Klingeln erscheint der livrierte Bursche. Kurz darauf trägt er Schnaps auf und in Blättern gebackenes Fleisch. Sie essen mit den Händen, trinken aus einer Flasche. Bald erscheinen die Frauen wie in einer Vorführung; die Männer lachen, klatschen, und als die Opulente kurzatmig wird und Schweià produziert, läÃt sie sich von Willem das Schnürkorsett lösen, als gehörte dies zu einer Rolle. Bis in den späten Nachmittag trinken sie und lachen, dann erscheinen hinter den Fenstern plötzlich die Phänomene, von denen der Lokführer gesprochen hatte.
Anfangs ist es nur eine sanfte Auflösung der vertrauten Beständigkeit; ein unscharfes Flimmern etwa aus den tiefen Farben der Kiefernwälder, ein sprunghaftes Flackern der Mohnfelder. Doch bald schon erscheint auch das rotgebänderte Gestein der Berge durchlässig, und rings löst sich alles Festgeglaubte auf, zerstäubt in einzelne Bildpunkte. Die Wälder stehen wie ein Bienenschwarm gegen den Himmel, die Bergmassive treiben auseinander, und bald durchzieht ein Schwarm den anderen. Hinter den Fenstern erscheint die Welt ohne verläÃliche Gesetze, sprunghaft, unscharf, und obwohl im Waggon alles vertraut und fest verbleibt, schwanken die Frauen und klammern sich an die Männer.
Während drauÃen die Welt in fein verteilter Materie dahinzieht, bläht sich die Landschaft, fällt in ein schwarzes Loch zusammen oder verdreht sich zu einer Helix, und Farben und Strukturen verwirbeln, treiben neue
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