Kronhardt
danach durch alle Disziplinen â Kybernetik, Chaos- oder Katastrophentheorie und sogar die Exobiologen wurden herangezogen, doch zuletzt bleiben Schädel wie Deutscher Herbst eine Spritzspur im Weltgeschehen.
Von Wrangel hatte den Fernseher mit Westempfang nicht wieder abmontieren lassen, und als nach dem Terror beim Klassenfeind Bilder aus Afghanistan gesendet wurden, hielt er das Kombinat mit seiner Rhetorik auf Linie. Den russischen Einmarsch rechtfertigte er mit Amerika; er unterstellte den Anführern des kapitalistischen Blocks einen Fundamentalismus, der alles gut machte, was ihre Gegner vernichtete. Mit ihren Dollars, meinte er, betrieben sie ein unbändiges Streben nach der ganzen Welt; von innen her höhlten sie ein Land nach dem anderen bis zum Kollaps aus, um es danach, mit Amerikanismen unterfüttert, wieder neu in der Welt zu installieren. Und auch am Hindukusch oder in Belutschistan, meinte er, hätten sie bereits angesetzt; hätten Stammesfürsten gegen die Sowjetvölker aufgebracht, mit Dollars und Versprechen von Ledernackenausbildung über Raketen bis hin zu einer genetischen Transduktionsausrüstung. Doch in ihrer debilen Gerissenheit, meinte er, übersähen die Amerikaner natürlich, daà diese Stammesfürsten im Grunde Freunde der Sowjetvölker seien; und daà ihr Fanatismus sich aus einem eingefleischten Haà vor allem gegen die Zionisten nähre, so daà Raketen und genetisch veränderte Bakterien wie ein Bumerang nach Amerika zurückkehren würden.
Trotz und auch gerade wegen dieser Offenbarung von Dummheit und Wahnsinn, meinte er, könnten die Sowjetvölker nicht untätig bleiben, und so wäre Afghanistan für das eigene Heil unabdingbar. Um so mehr, als die sowjetischen Truppen weltpolitisch vollkommen korrekt einmarschierten. Nichtwahr, sie seien vom Staatspräsidenten zu Hilfe gerufen worden und erfüllten jetzt nur ihren Teil des Beistandspakts. Daà aber die afghanische Bevölkerung sich plötzlich gegen diesen Beistand auflehnte, nannte er eine von Amerika angestachelte Anarchie, die zerschlagen werden müsse.
Als dann die Olympischen Spiele in Moskau von der halben Welt boykottiert wurden, als sich alte Verbündete in Afrika â und schlimmer noch, Lateinamerika â von den Russen lossagten, markierte von Wrangel das als Beweis für die dramatischen Fortschritte der Erzkapitalisten. Mit ihrer Strategie, Land um Land auszuhöhlen und mit Amerikanismen neu zu unterfüttern, hätten sie das WeltbewuÃtsein bereits so weit entartet, daà die Sowjetvölker als Gastgeber der ältesten, integersten und grenzüberschreitendsten Zeremonie überhaupt in ihrer Offenheit und Herzlichkeit gedemütigt würden.
Natürlich war der Beifall für von Wrangels Rede gewohnt laut. Dennoch bröckelten weitere Teilchen aus dem Sowjetblock, und auch im Kombinat muÃten sie mit ansehen, wie auf der Danziger Leninwerft eine Art Unabhängigkeit ausgerufen wurde; wie sich Solidarno´s´c aufschwang und Lech WaÅËesa als Held aus den Geräten des Westfernsehens stieg. Sie muÃten auch mit ansehen, wie niemand in Polen einmarschierte, doch im Kombinat tuschelten sie nicht darüber, und jeder hielt sich auf der Linie des Direktors.
Als sich nach der verweigerten Moskauolympiade in den USA ein alter Revolverheld auf den Präsidentensessel schwang und gleich darauf in bester Wildwestmanier die Konfrontation mit den Sowjets suchte, markierte von Wrangel das als Beweis seiner eigenen Lehrsätze von Degeneration und Wirklichkeitsverlust. Vor dem Kombinat offenbarte er, wie seine eigenen Prognosen einer fortschreitenden Entmenschlichung durch das Kapital sich wunderbar bestätigten, und zudem stellte er klar, daà jetzt ein neuer, kriegerischer Treiber hinter der amerikanischen Expansion stünde und daà es im Grunde eine Erniedrigung der weitgestreuten sozialistischen Intelligenz sei, einen Menschen wie Reagan überhaupt registrieren zu müssen. Er wies aber darauf hin, daà mit dem Grad der Dummheit auch immer die Gefahr steigen könne, um so mehr, wenn im WeiÃen Haus Hollywoodeffekte mit der Realität verschmierten, und so rief er nochmals zu innerer Wachsamkeit und äuÃerer Geschlossenheit auf.
Von Wrangel verfolgte wohl, wie Schmidt strauchelte und mit Kohl der Machtwechsel einsetzte. Er verfolgte auch, daà die deutsch-deutsche Politik trotz des neuen
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