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Krúdy, G u. Szerb, A u. Szép, E

Krúdy, G u. Szerb, A u. Szép, E

Titel: Krúdy, G u. Szerb, A u. Szép, E Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ich liebte eine schöne Frau: Miniaturen
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›Erlebnis‹ so auf den Hund gekommen ist, dass es heute selbst der dümmste Schulbub ohne Skrupel hinzuschreiben wagt, und zwar gerade dann, wenn ihm sonst nichts einfällt?
    Nach einigen Recherchen ist es mir klar geworden. Seit nämlich die moderne Pädagogik erlebnishaften Unterricht fordert, erziehen meine engagierten Kollegen die Schuljugend systematisch zum Erleben. Einerseits, weil jedes zweite Wort Erlebnis ist. Andererseits, weil sie ohne Unterlass bestrebt sind, dafür zu sorgen, dass Schüler überhaupt Erlebnisse erleben.
    Ein Kollege zum Beispiel hat mir demonstriert, wie er das bewerkstelligt. Er führte seine Klasse auf den Schulhof und streute dort sorgfältig in Tütchen verpackte, für diesen Zweck gesammelte Brotkrümel aus. Vom benachbarten Kirchturm kamen die Tauben in großer Zahl herbeigeflattert, pickten mit einer für ihr sanftmütiges Naturell erstaunlichen Gefräßigkeit rasch alles auf und flogen dann an ihren Platz zurück. ›Sehen Sie, Herr Kollege‹, sagte der Lehrer, ›das ist jetzt für die Schüler ein Erlebnis. Nun gehen wir hinauf und schreiben darüber die Klassenarbeit.‹
    Ein anderer engagierter Pädagoge war bei uns Prüfungsvorsitzender und brachte mit seinen ausgefallenen Fragen die Maturanten zur Verzweiflung. Bei der Schlusskonferenz erklärte er uns, was er damit bezweckt hatte: Er wollte erreichen, dass die Reifeprüfung für die jungen Leute zum bleibenden Erlebnis wurde. Und das war sie für die meisten tatsächlich. Sie werden davon träumen, solange sie leben.«
    »Seltsam«, sagte ich nachdenklich, »Pädagogen dürften doch wissen, dass Schüler ihre wirklichen Erlebnisse nicht in die Klassenarbeit hineinschreiben; das könnten sie auch gar nicht, denn dazu müssten sie mindestens Rimbauds sein. Es ist doch anzunehmen, dass es auch unter den Pädagogen einige gibt, die einmal sechzehn waren. Wenn sie sich daran erinnern würden – zum Glück für sie haben sie es vergessen –, erinnern
könnten
, an das Fieber, die durchweintenNächte, an die schrecklichen, liederlichen, dummen und wunderbaren Erfahrungen mit der Liebe … An das Schuldgefühl, das sie an den Rand des Selbstmords gebracht hat, an die wilden Fantasien beim Herumstrolchen in der Vorstadt, an die schwärmerische Besessenheit in den Budaer Bergen, wenn sie sich daran erinnern würden, wie nur eine Straße, ein geografischer Begriff erfüllt war von unaussprechlichen Ahnungen, wenn sie sich erinnern würden, was damals ein Gedicht von Ady oder Babits für sie bedeutete, was es für eine erdbebengleiche Erschütterung auslösen konnte, ob sie es dann noch für nötig halten würden, ihren Schülern Erlebnisse zu verschaffen? Denn der Sechzehnjährige lebt doch so, als agiere er zwischen zwei Akten in einem Drama der Shakespeare-Zeit, als trachte er, einen beiseitegelegten Dostojewski-Roman unbedingt zu Ende zu lesen. Zwischen Ruinen und Wüsten, in der gähnenden Tiefe eines Canyons, in Orkanen und Tornados, auf rotierender Drehbühne, losgerissenen Schiffen … Diese Erlebnis-Erziehung ist so, als wolle man den vorüberzischenden Flugzeugen die Geschwindigkeit erklären, als versuche man einen Fieberkranken im Delirium mit einem kleinen Mokka zu beleben … Was wohl die Natur mit uns im Sinn hatte, als sie es so einrichtete, dass wir schon in jungen Jahren, also gleich zu Beginn, verglühen und danach ein Leben lang nur noch die Asche hüten?«
    4

    Die schöne Frau steigt in die Straßenbahn ein. Du liest die Zeitung oder dein Buch und weißt eine Weile selbst nicht, warum du aufgehört hast zu lesen. Fängst wieder an und wirst dann gewahr: Ach ja. Dieses Gesicht … du solltest es dir genauer ansehen. Erneut hebst du den Kopf und suchst danach. Jetzt siehst du es nicht mehr gut, andere haben sich davorgestellt, ein boshafter Schaffner oder ein Fahrgast mit Stiernacken und unbedarftem Gesichtsausdruck schiebt sich zwischen euch. Lustlos kehrst du zu deinem Buch zurück. Man müsste sie aber doch in Augenschein nehmen. Sie erinnert dich an jemanden, ja. (Schönheit erinnert immer an jemanden. Oder an etwas. Du weißt nur nicht, an wen und was.) Für einen Augenblick taucht das Antlitz der Frau zwischen dem Schaffner und dem beleibten Zeitgenossen auf. Nicht das ganze Gesicht, nur ein Teil ihres Profils erscheint, so schön, dass es dich schmerzt. Ein schneller, vielgestaltiger Prozess kommt bei dir in Gang: Du ergänzt den Ausschnitt des Profils zu einem vollständigen, wunderbaren Gesicht.

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