Krúdy, G u. Szerb, A u. Szép, E
Dieses Gesicht »siehst du vor deinem geistigen Auge«, du könntest es nicht zeichnen, dieses Gesicht existiert nicht, es ist die Eventualität eines Gesichts, das in dir aufgeflammt ist, geradezu gebieterisch. Jetzt hebt die Frau ihre Hand, um sich das Haar zu ordnen. Leider trägt sie Handschuhe, doch auch so kannst du ihre fein geformten Hände erahnen; in deinem Kopf findest du eine Projektion göttlicher Hände. Du rutschst auf deinem Sitz hin und her, bis du die Gestalt der Frau mehr oder weniger komplett sehen kannst. Nein, auch da fehlt nichts. Tiefer Schmerz überkommt dich. Diese Frau ist schön, es gibt daran nichts zu deuteln, schön. Ja, einfach schön. Ein Herr steigt aus, und nun siehst du ihr ganzes Profil. Deine Traurigkeit verwandelt sich in ein immer noch schmerzliches, aber auch schon süßes Wohlgefühl. In deinem Innern eröffnen sich Perspektiven, aus deiner Vergangenheit dämmern vage Bilder herauf und projizieren sich in deine märchenhafte Zukunft. Wie heißt es doch bei Stendhal: Die Schönheit ist die Verheißung der Glückseligkeit. Du könntest ergänzen: der unerreichbaren Seligkeit. Dir wird schwer ums Herz.
Jetzt steigt die Frau aus, du siehst ihr durchs Fenster nach, und als sie sich ein wenig dreht, gelingt es dir, sie auch
en face
zu sehen. Ihre Nase ist etwas zu breit, die Augen sind nicht gerade ausdrucksvoll. Mit großer Erleichterung seufzt du. Gott sei Dank, gar so schön ist sie doch nicht: Ich kann beruhigt weiterleben.
5
Schönheit ist ein ewiges Mysterium. Selbst dicke Wälzer zur Ästhetik werden dich der Entschlüsselung dieses Rätsels nicht näherbringen. Wer könnte schon sagen, weshalb und was wir als schön bezeichnen, warum wir etwas schön finden. Ziel und Zweck der Kunst, auch davon bin ich seit Langem überzeugt, ist nicht, Schönes zu produzieren. Die größten Meisterwerke der Baukunst beeindrucken nicht durch ihre Schönheit, sondern durch ihre imposante Großartigkeit. Musik packt uns, indem sie unsere Empfindungen aufwühlt. Die moderne Malerei verzichtet auf die im herkömmlichen Sinn schönen Gesichter oder schönen Landschaften, überlässt, was nur schön ist, als überholten Trödelkram den Öldrucken und Ansichtskarten; in der Literatur sind vielleicht manche Gedichte schön – Romanen und Novellen aber verleihen andere Kriterien ihren Wert. Bei den Frauen heißt es, sie seien schön, wenn wir sie begehren, sie gefallen uns also »nicht ohne Hintergedanken«. Ansichten, Landschaften mögen wir dann, wenn sie unsere Stimmungen widerspiegeln.
In meiner etwas weiter gefassten Familie besitzt jemand eine schottische Schäferhündin. Dieses Tier ist schön. Nicht nur so, wie man Hunde ganz allgemein als schön bezeichnet, also sagen wir ein schönes Exemplar seiner Spezies, weil es den Rassekriterien entspricht. Dieses Tier ist absolut schön. Es schreitet auf dem Trottoir einher, und selbst Kinder des einfachen Volkes halten inne und bewundern es.
»Molly, du bist schön wie Greta Garbo«, sagt man zu ihm. »Wie gut, dass du nicht weißt, wie schön du bist.«
Das Tier ist nicht deshalb schön, weil es Gedanken oder Stimmungen weckt, sondern weil es an irgendwelche süßen und vergangenen Dinge erinnert. Es ist auch nicht schön, weil es Begehrlichkeiten weckt, und schon gar nicht, weil es den Rassevorschriften entspricht. Dieser Hund ist das einzig pure Schöne, das ich bislang in meinem Leben gesehen habe. Denn seine Schönheit ist so ursprünglich und natürlich wie die Tatsache, dass er vier Beine hat und bellt.
(1944)
Menschen und Länder
Der Engländer von heute ist, wie wir wissen, kaltblütig und phlegmatisch. Einem Menschen, der es eilig hat, wird man in London selten begegnen. Die großartigste Errungenschaft der englischen Zivilisation ist ihr bewunderungswürdiges Zeitgefühl. Die Leute kommen ohne Hektik aus, schaffen es vielmehr, auch bei möglichst bequemer Lebensweise stets pünktlich zu sein. Wenn ein Engländer zum Dinner geladen ist, erscheint er auf die Minute genau zu dem Zeitpunkt, der auf der Einladung steht. Einladungen weisen präzise die Uhrzeit aus, zu der man erscheinen soll, zum Beispiel 20:20 Uhr. Kein Engländer würde mir glauben, wenn ich ihm erzählte, dass es in Ungarn eine Ungezogenheit wäre, vor halb zehn zu erscheinen, wenn man für halb neun eingeladen ist.
Aber das Phlegma der Engländer bedeutet nicht nur, dass sie besonnen sind und es nie eilig haben. Es ist wirklich nicht leicht, einen Briten aus
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