Krúdy, G u. Szerb, A u. Szép, E
seinesgleichen, betrachtet sie als Verräter und plaudert deshalb all ihre Geheimnisse aus. Sonst ein Sprachkünstler, kennt er dann keinerlei Zurückhaltung. Früher nannte man so jemanden einen taktlosen Lümmel, heute gilt auch er, den ich im Auge habe, als sogenannter volkhafter Dichter – und wird geschätzt.
2
Ich las in einem Band mit orientalischen Märchen. In einem heißt es: »Oh, du armer Königssohn, wenn du zu dem Land gelangen willst, wo der güldene Vogel wohnt, so wirst du zweihundert Jahre reisen müssen.« Ja, für so groß hielt man einst die Welt, dass man selbst nach zweihundert Jahren noch nicht an ihr Ende gelangen würde. Heute wissen wir, dass der Königssohn auf dem Rücken eines zuverlässigen Kamels oder auch zu Fuß in einigen Jahren wieder dort ankommen würde, wo er aufgebrochen ist, wenn überall auf der Erde Festland wäre. Wie weit entfernt sind wir heute schon von jenen zweihundert Jahren! Oder selbst von den achtzig Tagen des Phileas Fogg! Alles ist nah. Die Erde ist klein geworden. Geschrumpft. Ich weiß gar nicht, ob es sich noch lohnt, in solcher Enge längere Zeit zu verweilen.
Alles ist wahr. Hauptanliegen der Wissenschaft im vergangenen Jahrhundert ist es gewesen, nachzuweisen, was alles falsch war und dass sich nichts so verhielt, wie es die Altvorderen glaubten. Homer hat nie gelebt; der Pharao ist gar nicht im Roten Meer ertrunken; der ungarische Heerführer Lehel zerschmetterte nicht mit seinem Horn dasHaupt des deutschen Kaisers; die Jungfrau von Orléans überlebte den Sprung aus dem Turm nicht unversehrt, und vielleicht war sie gar keine Jungfrau mehr; der brave, ehrliche Brutus verlieh Geld zu einem Zinssatz von achtundvierzig Prozent, und die Borgias waren verhältnismäßig ehrbare Herrschaften.
Heute wiederum beweist die moderne Wissenschaft, dass alles wahr ist. Die Atomphysiker stellen fest, dass die Alchimisten gar nicht so verrückt waren. Ich lese gerade das aufregende Buch des deutschen Universitätsprofessors Dacqué, in dem er nachweist, dass Drachen nicht nur existierten, sondern dass die Menschen auch mit ihnen gekämpft haben; die einäugigen Riesen habe es ebenso gegeben wie Menschen in Fischgestalt mit Schuppen und das Fabeltier Greif mit Adlerkopf und Löwenrumpf. Auch wenn es nicht Josua war, der die Sonne zum Stehen gebracht hat, so ist doch nicht ausgeschlossen, dass sie einmal stehen geblieben ist, dass schon Menschen lebten, als noch gar kein Mond am Himmel stand, und dass Atlantis tatsächlich im Meer versunken ist.
Ich werde es vielleicht noch erleben, dass sich herausstellt, Schneewittchen sei wirklich aufgewacht, Aschenputtel habe eine gute Partie gemacht und der Wolf sei von Rotkäppchen gefressen worden.
3
Mein Freund, ein Studienrat, berichtet:
»Gerade habe ich noch Klassenarbeiten korrigiert. Sechzehnjährige Buben schrieben über ein freies Thema, es gingum eine Exkursion oder dergleichen. Heutzutage sind die Arbeiten längst nicht mehr mit ›Die Mutterliebe im Epos Toldi‹ oder ›Vaterliebe in der Dichtung von Petőfi‹ überschrieben. Die Lehrpläne orientieren sich an der modernen Pädagogik und fordern, übrigens zu Recht, dass man die Schüler keine literarischen Abhandlungen schreiben lässt, das möge man Fachleuten überlassen, sondern besser ›erlebnishafte‹ Arbeiten. Und darüber will ich etwas sagen.
Es ist seltsam: Seit wir ›erlebnishafte‹ Klassenarbeiten schreiben lassen sollen, ist fast jedes zweite Wort in diesen Aufsätzen ›Erlebnis‹. Der Schüler schreibt über den ersten Schnee, und der war ein ›unvergessliches Erlebnis‹. Er fuhr mit dem Fahrrad und hatte eine Panne, plötzlich war das Hinterrad platt, auch das natürlich ein ›Erlebnis‹. Aber zum Glück gelangte er schließlich doch noch per Fahrrad ans Ziel, also zur Patin, wo es köstliche Topfennudeln gab, was dann erst recht zum ›großen Erlebnis‹ wurde. Nicht einmal sehr gefühlvolle Dichter kommen auf eine solche Zahl von Erlebnissen wie diese Schulkinder. Ich muss sagen, dass mich das maßlos ärgert. Das Wort ›Erlebnis‹ war zu meiner Zeit noch der wohlgehütete Schatz von Auserwählten. Wir begeisterten uns für unseren Lehrer – er hieß übrigens Sándor Sík – unter anderem deshalb, weil er in seine Vorträge Begriffe wie Erlebnis oder Persönlichkeit einfließen ließ, wir selbst trauten uns damals noch lange nicht, solche hehren Erwachsenenwörter in den Mund zu nehmen. Wie kam es dazu, dass das arme Wort
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