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Krúdy, G u. Szerb, A u. Szép, E

Krúdy, G u. Szerb, A u. Szép, E

Titel: Krúdy, G u. Szerb, A u. Szép, E Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ich liebte eine schöne Frau: Miniaturen
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der Fassung zu bringen. Er kann mit geradezu beängstigender Geduld einen halben Tag am selben Fleck verbringen, wenn dort ein besonderes Ereignis zu erwarten ist, zum Beispiel der König von irgendwoher zurückkehrt oder der Lord Mayor von London in festlichem Aufzug durchs Stadtviertel zieht. Vor einer wichtigen Theaterpremiere reihen sich die Engländer, um preiswerte Plätze zu ergattern, in die Menge der Wartenden ein und stehen oder sitzen auf einem mitgebrachten Schemel die ganze Nacht lang für die gewünschten Karten an, wenn nötig auch noch den gesamten nächsten Tag. Die Franzosen sind ja ebenfalls begabte Schlangesteher, doch die Engländer können sich ein Leben ohne Schlangestehen überhaupt nicht vorstellen.
    Und sie verlieren nie den Kopf. Deshalb sind sie zum Beispiel im Falle eines Schiffbruchs, bei einem Kaufhaus- oder Theaterbrand oder auch wenn ein wankendes Weltreich gerettet werden muss, unübertroffen. Es passt einfach nicht zu ihnen, sich von Zorn oder Panik überwältigen zu lassen. Sie zollen demjenigen Respekt, der über ihnen steht, der Snobismus ist vielleicht nirgendwo so verbreitet wie in England, doch wenn sie es persönlich mit Leuten von höherem Rang zu tun haben, bewahren sie eine würdevolle Ruhe, sind nie devot oder ängstlich oder gar unterwürfig. Der hierzulande aus dem Film bekannte Butler ist ein Paradebeispiel dafür. Die englische Gelassenheit ist eigentlich nur mit künstlerischen Mitteln darzustellen, zum Beispiel die Art, wie der Hotelportier mit einem Gast umgeht. Jede seiner Gesten ist die gesittete Anerkennung der Tatsache, dass er sich stets verpflichtet fühlt, mir zu Diensten zu sein, zugleich bringt er aber mit seiner Ruhe und Gelassenheit zum Ausdruck, dass er Wert auf seine menschliche Würde legt und wünscht, dass auch ich das nicht vergesse.
    So ist das heute.
    Als aber 1725 der Schweizer Beat Muralt ein Buch über die unterschiedliche Wesensart von Engländern und Franzosen schrieb, stellte er noch fest, dass, im Gegensatz zur zivilisierten Gemessenheit der Franzosen, England die Heimat der Leidenschaften und Katastrophen war. Wenn man die englische Geschichte und Literatur auch nur ansatzweise kennt, wird man diese These kaum bestreiten können. Das England der Roten und der Weißen Rose, des Gattinnen- und Priestermörders Heinrich VIII., das Reich der rachsüchtigen Bloody Mary, das Land, in dem Cromwells Ironsides ausdauernd und mit Lust die königlichen Kavaliere dezimierten, bis sich das Blatt wendete und die Kavaliere begannen, ihre Gegner abzuschlachten – wahrlich, dieses Land war nicht die Heimat von »ruhig Blut«, wie man zu sagen pflegt.
    Die englische Geschichte ist die leidenschaftlichste, und Heine hatte keineswegs recht, als er sagte, es sei eine Ironie des Schicksals gewesen, dass Shakespeare als Engländer geboren wurde. Die Tragödien Shakespeares und seiner Zeitgenossen konnten tatsächlich nur in England, der Heimat der Dramen und Katastrophen, entstehen, wo die Chroniken, die den Dramatiker inspirierten, noch von den uralten Leidenschaften kündeten und die Ereignisse des Tages von der vernichtenden Gewalt der neuen Gefühlsausbrüche sprachen. Der kaltblütige Engländer von heute ist ja nicht einmal mehr fähig, Shakespeare-Dramen zu spielen. Ich sah in London eine Aufführung des ›Othello‹: Der Hauptdarsteller hat einigermaßen überzeugend gespielt, er war allerdings kein Engländer, sondern ein leibhaftiger Neger – Desdemona dagegen, eine wohlerzogene Engländerin, warf sich, Schreie ausstoßend, graziös im Bett herum, während ihr Gemahl sie erwürgte.
    Betrachtet man die Weltliteratur
in toto
bezüglich des Nationalcharakters eines Volkes, könnte man vielleicht feststellen, dass den Angehörigen jeder großen Nation die Fähigkeit zu eigen ist, einen bestimmten menschlichen Wesenszug zum Ausdruck zu bringen: den Franzosen der Scharfsinn; den Spaniern Glaube und Wahnsinn; den Italienern die strahlenden hehren Visionen; den Deutschen die dunkle Ahnung der Rätsel unserer Existenz; den Russen die Tiefe der Seele …; den Engländern dagegen, dass sie, wie in ihrer alten Literatur, menschlicher Leidenschaft eine Stimme geben.
    Der altenglische Autor hat zu einem ihm seelenverwandten Publikum gesprochen, was ja auch nur zu natürlich ist. Die Geschichte des englischen Theaters ist, was ihre Vehemenz und Leidenschaftlichkeit angeht, mit dem Theater keiner anderen Nation zu vergleichen. Denn nicht selten war es schon

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