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Kruzifix

Kruzifix

Titel: Kruzifix Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Xaver Maria Gwaltinger
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schrecklichen Fall von Pater Theo Amadagio gelöst haben … Ich hatte ja damals diesen Nervenzusammenbruch … aber ich hörte noch, dass Sie …«
    Ich sagte:
    »Ja, ich habe ihn gelöst.«
    »Und wie? Was war passiert?«
    Ich erzählte ihr von meinen Ermittlungen und von meinem grandiosen Erfolg.
    »Wahnsinn!«, sagte sie. »Sie haben wirklich eine geniale Kombinationsgabe. Und eine wunderbare Phantasie!«
    »Danke … Aber wieso Phantasie?«
    »Ich sage Ihnen jetzt, wie es wirklich war …«
    »Oh … Da bin ich sprachlos!«
    »Bleiben Sie’s! Im Ernst: Ich spreche mit Ihnen als Seelsorger. Beichte. Ich rede nur, wenn Sie mir versprechen, das Beichtgeheimnis zu wahren.«
    »Ich wahre, so wahr mir Gott helfe!«
    Sie erzählte ruhig und gefasst und sachlich.
    Ich sank immer mehr in mich zusammen.
    Sie redete meine Zukunft zugrunde.
    Und endete:
    »… wie Sie ja wissen, bin ich dann an jenem Sonntagmorgen zusammengebrochen. Es war ein Nervenzusammenbruch. Ein Einbruch der Wirklichkeit in meine Phantasiewelt. Theodor Amadagio am Kreuz … Aber es kam noch schlimmer. Sie brachten mich nach Kaufbeuren in die Irrenanstalt. Ich wartete, bis Willibald Rössle sich melden würde. Mich rausholen. Sie brachten mich nach Rom. Psychiatrie. Ich wusste nicht mehr, ob ich tot oder lebendig bin. Ich war nicht nur betäubt, ich war eine einzige Betäubung. Dumpf. Schlimmer als tot. Keine Nachricht. Kein Kontakt. Sie steckten mich in ein Flugzeug. Ich landete in Sydney. Was ich erst später merkte. Ich machte alle psychiatrischen Anstalten durch … das Hornsby Ku-ring-gai Hospital im Norden, das Parramatta District Hospital im Westen, dazwischen irgendwo das Rydalmere Hospital, das Ryde Hospital. Ich konnte nicht mehr reden. Nicht mehr denken. Ich konnte nur noch dieses Taschentuch von Ihnen halten. Es hielt mich am Leben. Oder das, was von meinem Leben übrig war. Ich war ein Zombie. Ich war Schmerz. Elend. Unbeschreiblich. Eine Ewigkeit. Ich weiß jetzt, was die Hölle ist. Ich war dort. Ewig. Später rekonstruierte ich, dass es ein ganzes Jahr war. Kein Brief. Kein Anruf. Nichts. Niemand. Das ist die Hölle.«
    Schweigen.
    Ich schaute sie großäugig an, stotterte:
    »Und … aber … wie …?«
    Sie lachte kurz.
    »Es passierte ein Wunder. Ich merkte es zuerst gar nicht. Eines Tages hieß es im Rydalmere Hospital: Sie haben Besuch. Ich sagte nichts. Ich wusste, das war ein Irrtum. Ein großer Mann erschien. Er sprach Deutsch. Eigentlich sprach er gar nicht. Er setzte sich in dem Park, in dem ich verloren herumhockte, neben mich. Dann nahm er einen Stuhl und setzte sich gegenüber. Dann nahm er mein Gesicht in beide Hände und hielt es. Hielt mich. Lange. Keine Ahnung, wie lange. Dann sagte er: ›Ich muss jetzt gehen. Ich komme nächste Woche wieder. Auf Wiedersehen.‹« Ich glaubte ihm kein Wort. Aber ich spürte mein Gesicht in seinen Händen liegen, und zum ersten Mal seit einem verdammten Jahr, seit ich von Tal weggeschafft wurde, konnte ich wieder weinen. In Ihr Taschentuch hinein … Er kam nächste Woche wieder. Und die Woche darauf. Ich lernte langsam wieder zu reden. Ich erzählte ihm, dass ich Organistin war. Er sagte: ›Ich spiele auch Orgel. Aber nicht so gut … Und wir suchen eine Organistin für unsere Kirche.‹ Ich fragte: ›Wer ist wir, und welche Kirche?‹ Um es kurz zu machen: Er war der Pastor der deutschen lutherischen Kirche in Sydney, ist es noch. Er besuchte einmal in der Woche die gestrandeten Deutschen in den verschiedenen psychiatrischen Anstalten. Der Pastor Waldemar Lahauser …«
    Sie zögerte einen Augenblick, ihr Gesicht nahm wieder dieses Mose-Leuchten an … Dann fuhr sie fort:
    »Mir ging es von Tag zu Tag besser. Ich durfte aus der geschlossenen Abteilung in die offene. Ich durfte wieder raus. Er nahm mich mit, wir fuhren in seine Kirche in die Stadtmitte, eine kleine, alte Kirche zwischen Wolkenkratzern mit einer neuen schönen Orgel, die 1980 aus Deutschland hergebracht wurde … Wir setzten uns an die Orgel und begannen ein Stück zu spielen … Von Franz Berwald. ›Ein ländliches Hochzeitsfest‹ … Vierhändig. Dann setzt meine Erinnerung aus. Als ich erwachte, lag ich in seinen Armen … und wusste: Ich bin gesund. Neugeboren.«
    Ich brachte kein Wort raus.
    War überwältigt.
    Aber ich wollte nicht schon wieder losheulen. Verdammte Gefühlsduselei!
    Sie erlöste mich, sagte:
    »Er wird gleich da sein, mich abholen. Wir wohnen zusammen im Pfarrhaus im Norden von

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