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Kruzifix

Kruzifix

Titel: Kruzifix Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Xaver Maria Gwaltinger
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Sydney.«
    »Ahhh … ich mein … das ist ja schön … und es geht mich nichts an … aber die Gemeinde …«
    »Ich versteh schon. Die Leute sind froh und dankbar. Sie sagen, jetzt haben wir unseren Pastor wieder. Vor drei Jahren ist seine Frau gestorben. Hier im North Shore Hospital … Und seit Sie hier sind, sagen sie, lebt er wieder …«
    »Ah …«
    »Ich höre Schritte, ich glaube, er kommt jetzt. Ich habe noch eine Bitte an Sie, Dr.   Bär.«
    »Ja?«
    »Grüßen Sie den Willibald Rössle von mir. Sagen Sie ihm, was Sie gehört und gesehen haben … und sagen Sie ihm, dass ich sehr glücklich bin und an Himmelfahrt nächstes Jahr heiraten werde, den Pastor Lahauser. Ahh … Da ist er … Und vielen Dank fürs Taschentuch! Und sagen Sie es ihm! Bitte! Unbedingt!«
    Ich wollte sagen: Ja, gerne. Ich wollte sagen: Nein, bitte nicht.
    Ich nickte.
    Sie erhob sich, trat auf den Mann zu, der in der Tür stand. Sie küssten sich und gingen eng umschlungen von dannen.
    Ich sackte in mich zusammen.
    Das Einzige, was ich denken konnte, war:
    Scheiße!!!
    Ich weiß nicht, wie lange ich dasaß. Dachte:
    Bitte, lieber Gott, lass mich sterben. Jetzt. Für immer …
    Fehlanzeige. Er ließ mich nicht sterben. Noch nicht. Vielleicht nie?! Ewig leben … die schlimmste aller Strafen.
    Irgendwann stand ich auf mit meinem Taschentuch in der Hand, machte ein paar wacklige Schritte auf den Altar zu.
    Schaute den Christus am Kruzifix an, zitterte am ganzen Leib, und aus mir schrie es, IHM ins Gesicht:
    »Scheiße!«
    Ein Geräusch hinter mir.
    Ich hatte ihn nicht bemerkt, den Mann auf Krücken.
    Er lachte mich an, sagte:
    »This is supposed to mean ›shit‹, isn’t it?«
    Ich sagte verdattert:
    »Jess … oh … jesss … jesss …«
    Er grinste mich freundlich an, sagte:
    »This is the bloody fucking best prayer I’ve ever heard, mate!«

Der Richter und sein Henker
    Der Richter und sein Henker.
    Was anderes konnte ich nicht denken. Ich saß da, wo ich nicht sitzen wollte: im Segelflieger mit Hilfsmotor.
    Anflug auf Memmingen.
    Ich flog seit dreißig Stunden in die verkehrte Richtung.
    Weg wollte ich.
    Weg von Australien.
    Weg von Frankfurt.
    Weg von Memmingen.
    Weg von der Alm.
    Weg von allem.
    Weg von mir.
    Das Flugzeug war stärker.
    Es brachte mich immer näher dahin, wohin ich nicht wollte.
    Nach Memmingen.
    Es landetete gegen meinen Willen.
    Willibald Rössle wartete in seinem silbergrauen Mercedes-Kombi.
    Ich warf den Koffer auf den Rücksitz.
    Setzte mich neben ihn auf den Beifahrersitz.
    Erschrak.
    »Was ist denn mir dir los?«, fragte ich.
    »Was soll denn los sein?«
    »Schaust a weng zerrupft aus.«
    Sein Gesicht war aschgrau.
    Seine Haare strähnig und dreckgrau.
    Er müffelte.
    »Ist die Trinkwasserquelle auf der Alm ausgetrocknet?«, fragte ich.
    »Wieso?«
    »Oder keine Zeit gehabt zum Waschen?«
    »Ah so … hab ich gar nicht gemerkt …«
    Er war abwesend.
    »Und gestern hat’s wohl Spaghetti Bolognese gegeben … und vorgestern Sauerbraten mit Blaukraut, aus der Dose …«
    Wieso?
    »Dein Hemd sieht aus wie eine Speisekarte für Analphabeten.«
    Ursprünglich war es weiß gewesen.
    Ich dachte: Hat er Alzheimer? Demenz? Was ist los mit ihm?
    Ich sagte:
    »Was ist los mit dir?«
    »Nix.«
    Schweigen.
    Wir näherten uns auf der A   7 dem Allgäuer Tor. Ich erblickte die Bergkette. Klar. Föhnig. Gewitterwolken zogen auf.
    Er fuhr mit Altmännertempo auf der Autobahn. Ein Laster überholte uns.
    Nach einer Ewigkeit sagte er:
    »Wie war’s?«
    »Schön. Der Frederick …« Ich erzählte ihm von meinem Besuch in Melbourne bei meinem Sohn.
    Keine Reaktion.
    Mehr erzählte ich ihm nicht. Ich wollte heil auf der Alm ankommen.
    »Und hier. Bei dir? Wie geht’s der family ?«
    Ein wehmütiges Lächeln huschte über sein Gesicht.
    »Die Vasthi ist schwanger.«
    »Du wirst Opa?!«
    »Ja, mei …«
    Eine Träne rollte über seine unrasierte Wange.
    Was war bloß los mit ihm?
    Er stellte sein Auto auf den grasüberwucherten Parkplatz an der Alm.
    Schob ein Gitter gegen die Marder drunter.
    Ich sagte:
    »Jetzt brauch ich erst einmal ein ordentliches Bier, und dann einen langen Schlaf. Diese Scheißfliegerei macht einen hin.«
    »Dann schlaf gut«, sagte er.
    Ich sagte:
    »Morgen früh geh ich in die Kirch. Und zum Frühschoppen. Gehst mit?«
    »Mal schauen …«
    Leck mich am Arsch, dachte ich.
    Ich sagte:
    »Ach übrigens, ich soll dir noch einen Gruß ausrichten.«
    »So. Von wem?«
    Es blitzte. Die ersten

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