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Kruzifix

Kruzifix

Titel: Kruzifix Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Xaver Maria Gwaltinger
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die wollen immer weit weg!«
    Wir schwiegen.
    Ich:
    »Ich soll ihn besuchen. Er hat mich eingeladen.«
    »Und?«
    »Ich denk, ich fahr hin. Dann musst du halt die Firma derweil allein führen.«
    »Kein Problem. Auf Arbeit warten kann ich auch allein.«
    Ich dachte, es ist ihm sowieso alles wurscht. Er hat eine typische Ruhestandsdepression. Vielleicht tut ihm eine Zeit lang für sich ganz gut.
    So ein depressiver Partner nervt ungemein.
    Ich hockte mich wieder neben ihn hin. Ich wollte nicht, dass er merkte, wie aufgeregt ich war.
    Ich sagte:
    »Ich geh dann mal nach Oberberg rüber. Zeitung holen.«
    Ich hoffte, er sagte nicht: Ich geh mit.
    Er sagte:
    »Scho recht!«
    Gott sei Dank.
    Sobald ich auf dem Weg und außer Sichtweite war, riss ich den Brief noch mal auf und las:
    »Lieber Herr Dr.   Bär,
    ich habe Ihr Taschentuch noch. Möchte es Ihnen zurückgeben. Sie können es bei mir abholen. Es gibt viel zu erzählen. Bitte behandeln Sie diesen Brief vertraulich. Niemand außer Ihnen darf davon erfahren. Sonst bin ich in Lebensgefahr. Meine Telefonnummer ist 0061 2 9267   464881.
    Mit freundlichen Grüßen, in der Hoffnung auf eine positive Antwort,
    O. O.«
    Die graue Organistin. Die verschwundene. Nach über zwei Jahren ein Lebenszeichen. Und was für eins.
    Ich musste hin. Sie besuchen. Was gab es zu erzählen? Und sowieso, wegen des Taschentuchs …
    Die Geschichte mit meinem Sohn war nicht gelogen. Er hatte mich ein paar Tage vorher auf dem Handy angerufen.
    »Hallo, Papa.«
    Der »Papa« freute mich. Ungemein. Ich sagte:
    »Ja?«
    »Ich geh nach Melbourne.«
    Scheiße. Stich ins Herz. Warum bis ans Ende der Welt?!
    »In Australien?«
    »Ja, wo sonst?«
    »Ah … gratuliere. Was machst denn in Melbourne?«
    Er berichtete mir von seiner neuen Stelle. Dem einsilbigen Rössle erzählte ich nichts von dem Anruf. Erst, als ich den Brief bekam. Gelogen war, dass die Nachricht von meinem Sohn in dem Brief stand. Dem Brief von der Olivia Obholzer.

Angst vorm Fliegen
    Flugplatz Memmingen.
    Quatsch! »Allgäu Airport«!
    Rössle hatte mich mit seinem silbergrauen Mercedes-Kombi hingebracht.
    Maulfaul.
    Seine Einsilbigkeit machte mir ein schlechtes Gewissen. Ich ließ ihn allein da hocken. Mit unserem lahmen Business. In seiner postprofessionellen Depression.
    Ich sagte:
    »Ich komm bald wieder.«
    »Wann?«
    »Wenn der Frederick genug von mir hat. Ich lass dich wissen, wann ich zurückflieg. Kannst die Alm sauber machen. Roten Teppich zum Empfang ausrollen. Blasmusik bestellen.«
    Er lächelte nicht einmal.
    Arsch!
    Der Check-in ging ruck, zuck.
    Ich war der Einzige, der in der Schlange wartete.
    Der andere, der wartete, war der Pilot auf der Rollbahn.
    Es kam keine Durchsage.
    War auch der einzige Flug weit und breit.
    Nach Frankfurt.
    Ich stieg die kleine Treppe zu dem Segelflugzeug mit Hilfsmotor hinauf.
    »NayrAir.de« stand auf dem stolzen Vogel.
    CrashAir, dachte ich. Mit mehr Galgen als Humor.
    Die Stewardess machte milde lächelnd Platz, ließ mich vorbei.
    »Flugbegleiterin« heißt das neuerdings. Hoffentlich hatte sie ihr Strickzeug dabei.
    Ich suchte meinen Platz B 12. Wie die Bundesstraße von Landsberg nach Kempten. Es war nicht leicht, den Platz B 12 zu finden. Alle Plätze waren leer. Mein deutsches Ich bestand aber darauf, auf dem Platz zu sitzen, der auf meinem Ticket stand. Mein Platz.
    Die Tür zur Maschine fiel ins Schloss.
    Kann ja ein flotter Dreier werden, dachte ich.
    Meine Erwartungen wurden übertroffen. Eine Zeitung wurde mir gereicht. Die Allgäuer Rundschau zum Wochenende.
    Ich vergaß, mich leicht zu machen und die Maschine mit den Armlehnen hochzuhalten, damit sie nicht abstürzte. Nicht, dass ich Flugangst hätte. Aber sicher ist sicher …
    Ich durchblätterte unauffällig hastig die Zeitung.
    Ja, das Kemptener Tagblatt war eingelegt!
    Oha! Jaaaahhhh! Tatsächlich. Ich las:
    »Kruzifix. Die Kolumne von Emil Bär«. Titel: »Lügen haben lange Beine.«
    Ich las, was ich vor vier Wochen geschrieben hatte. Faszinierend. Na ja. Heute würde ich anders schreiben. Man lernt ja jeden Tag dazu. Ich jedenfalls.
    Nach dem dritten Lesen faltete ich das Blatt zufrieden zusammen.
    Super Airline!, dachte ich.
    Nach einer knappen Stunde hob sich mein Magen zum Landeanflug.
    Perfekte Hoppellandung.
    Soll ich klatschen? Nein, dann wissen die sofort, dass ich das letzte Mal in der Steinzeit geflogen bin. Nach Mallorca. Landeklatschen ist out.
    Ich zwängte mich mit meinem schwarzen Rollkoffer von

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