Kryptum
eine halbe Seite Text bevor. Gerade hatte er dem Sekretär die Blätter zurückgegeben, da spürte er, daß ihn jemand am Knöchel gepackt hatte. Es war John Bealfeld, der jetzt von unten auf den Papst zeigte.
»Eure Exzellenz! Sie müssen etwas unternehmen. Und zwar schnell!«
Tatsächlich war der Papst hochrot angelaufen. Doch nicht das war es, worauf der Kommissar anspielte, sondern das unverständliche |28| Gestammel, das unwillentlich aus dem Mund des Heiligen Vaters zu perlen schien:
»Et em en an ki sa na bu apla usur na bu ku dur ri us ur sar ba
bi li …«
Dann schien er geradezu in Trance zu fallen. Die Augen weit aufgerissen, der Kiefer angespannt, stotterte er in seltsam rhythmischem Singsang:
»Ar ia ari ar isa ve na a mir ia i sa, ve na a mir ia a sar ia Et em
en an ki …«
»Merken Sie das denn nicht, Eure Exzellenz?« flehte Bealfeld. »Das sind genau die gleichen Laute, die wir heute morgen schon gehört haben.«
Die Gläubigen wirkten zwar leicht irritiert, doch reagierten sie damit wohl eher auf den Gesichtsausdruck des Heiligen Vaters als auf das Stammeln, das sie der Erschöpfung, seiner Krankheit und dem hohen Alter zuschrieben. Nur die ganz in der Nähe Stehenden hielten den Atem an und hingen an seinen Lippen. Als der Kommissar kurz zu der Ehrentribüne hinüberblickte, sah er, wie jemand aufstand und unauffällig seinen Platz verließ. Täuschte er sich, oder war es tatsächlich der spindeldürre, schwarzgekleidete Mann, der ihm zuvor schon aufgefallen war?
Plötzlich war ein dumpfes Dröhnen zu vernehmen, das immer durchdringender wurde und die ganze Plaza Mayor erschütterte. Es war schwer zu sagen, woher das Beben kam, das die Fensterscheiben zum Klirren brachte; es bebte unter ihren Füßen und breitete sich aus, über die Arkaden und Mauern der den Platz begrenzenden Gebäude bis hinauf zu den Dächern, deren Schieferplatten zu klappern begannen.
Unter den Menschen, die sich auf der Plaza Mayor drängten, breitete sich Unruhe aus. Die Gläubigen warfen sich nervöse Blicke zu und starrten dann gebannt zur Mitte des Platzes, wo der rote Teppich, über den der Papst gekommen war, auf einmal erzitterte und der über dem Brunnenbecken errichtete Altar mit der gewaltigen Monstranz gefährlich zu knacken begann.
|29| Derweil hatte Nuntius Presti einen Entschluß gefaßt. Auf sein Handzeichen kletterten die Männer des
Corpo della Vigilanza
auf das Podium, umringten den Pontifex und trugen ihn mitsamt seinem Sessel blitzschnell über die hintere Rampe zu dem Wagen, der unter den Arkaden bereits mit laufendem Motor auf sie wartete. Kaum hatten sie den Papst hineingeschoben, sauste der Mercedes hinter den Motorrädern mit ihren heulenden Sirenen durch den Bogengang davon.
Auch die Sicherheitskräfte auf der Nordseite hatten keine Sekunde gezögert und zeitgleich die Ehrentribüne geräumt. Bealfeld blickte wieder zur Mitte des Platzes, wo zwischen den Pflastersteinen auf einmal eine Spalte zu sehen war, die immer breiter wurde. Die festliche Stimmung war in Panik umgeschlagen. Die Menschen schrien und drängten ungeachtet sämtlicher Absperrungen von allen Seiten zu den Ausgängen, vor denen sich nun wahre Menschenlawinen stauten. Nur die Männer, welche die Monstranz getragen hatten, zögerten noch, vielleicht in der irrigen Annahme, ein Beispiel an Gelassenheit geben zu müssen. Doch merkten sie bald, daß die Lage ernst war, wonach auch sie kopflos zu den Arkaden stoben.
Die immer größer werdende Erdspalte in der Mitte hatte sich inzwischen derart ausgeweitet, daß der Springbrunnen mit dem für den Festakt eigens errichteten hölzernen Altar genau in diesem Augenblick und vor aller Augen in sich zusammenstürzte und die größte Monstranz der Christenheit mit sich in die Tiefe riß, begleitet von einem so markdurchdringenden Getöse, als brächen dabei jedes einzelne der 3600 Teile aus purem Gold und sämtliche Edelsteine, die jene vortreffliche Kostbarkeit geziert hatten, mitten entzwei.
Die Ordnungskräfte hatten unterdessen alle Hände voll zu tun, um die Panik in den Griff zu bekommen. Gerade glaubten sie, die Menschenmenge einigermaßen unter Kontrolle zu haben, als vom Grund des Trichters ein noch unheilverkündenderes Tosen heraufdrang, das sich kurz darauf als eine riesige Wasserfontäne herausstellte, die mit großem Druck unendlich viel Schlamm aus den Tiefen der Erde heraufbeförderte |30| , Schuttbrocken, Holz, einen Schuh … Absolutes Chaos bemächtigte sich nun
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