Kryptum
für Geheimnisse?«
»Schreckliche Geheimnisse. Die größten, die du dir nur vorstellen kannst. Und das wäre noch viel zuwenig.«
|33| I Zwieback und Peitsche
Man führt ihn durch ein finsteres Labyrinth aus Gängen und Treppen. Es geht hinauf, vorbei an Verliesen mit Gefangenen, denen man sämtliche Glieder ausgerenkt hat. Sie haben kaum noch die Kraft, um Hilfe zu wimmern.
Raimundo Randa kann sie nicht sehen, ebensowenig wie sie ihn. Eine schwarze Kapuze aus Wollstoff verhüllt seinen Kopf. Aber er kann das Scharren ihrer Füße hören, so als wären sie Vieh, gedämpft vom Stroh, das den Boden ihrer Zellen bedeckt. Und auch die modrige Feuchtigkeit und der unerträgliche Gestank dringen durch den Stoff zu ihm hindurch.
Als diese Sinneseindrücke schwächer werden, klopfen die Männer, die ihn gepackt halten, an eine Tür. Die Tür geht auf. Sie hieven ihn über die Schwelle, damit er nicht stolpert. Der Raum verengt sich. Er spürt nun die Nähe der Wände, vernimmt den Widerhall ihrer Schritte im Gewölbe. Am Ende ein weiterer Gang. Lange Zeit laufen sie ihn entlang. Bleiben schließlich stehen. Er hört, wie Riegel zurückgeschoben werden, begleitet von einem langgezogenen und durchdringenden Quietschen.
»Das Schloß muß unbedingt geölt werden«, sagt einer seiner Wächter.
|34| Dann läßt man ihn eintreten. Die Männer stoßen ihn jedoch nicht hinein, sie stützen ihn sogar noch, als es jetzt ein paar steinerne Stufen hinuntergeht. Alsdann lösen sie seine Fesseln. Wenig später hört er, wie die Tür zufällt und irgend jemand einen Schlüssel umdreht.
Raimundo Randa zieht sich die Kapuze vom Kopf. Ungläubig reibt er sich die Augen und sieht sich um. Er ist allein. An was für einem seltsamen Ort befindet er sich hier?
Der Raum wirkt nicht wie eine gewöhnliche Gefängniszelle. Mehr lang als breit, wird er seitlich von zwei mächtigen Mauern begrenzt. Auch die Quadersteine der hinteren, nicht weniger dicken Mauer machen jegliche Hoffnung auf eine Möglichkeit zur Flucht zunichte. In der vierten Mauer ist die massive Eisentür eingelassen, die durch ein höchst kompliziertes Schloß gesichert sein muß, dem langen Knarzen von allerlei Bolzen und Riegeln nach zu urteilen. Weit oben spannt sich ein Tonnengewölbe über ihm, an dessen höchstem Punkt eine vergitterte Luke auszumachen ist, die offenbar auf den Wachhof hinausgeht. Durch sie fällt ein Lichtstrahl herein. Nur dürftig erhellt er den Raum.
Randa schnuppert. Die Luft riecht seltsam, aber nicht schlecht. Allem Anschein nach frischer Mörtel; man hat wohl vor kurzem erst die Tür verstärkt.
Das einzige Möbelstück in der Zelle ist eine einfache Steinbank, kaum lang genug, daß sich ein Mensch darauf ausstrecken kann. Raimundo Randa legt sich dennoch nieder. Er ist müde. Müde und allem überdrüssig. All der Reisen. Der ganzen Absurdität. Der blinden Maschinerie, die ihn von einem Verlies ins nächste geführt hat. Bis hierher. Es scheint das letzte zu sein. Vermutlich wird er hier nicht lebend herauskommen. Und falls doch, dann nur, um auf der Folterbank oder dem Scheiterhaufen zu enden.
Er fährt sich mit den Händen über das hohlwangige Gesicht. Bart und Haare sind zerzaust und schmutzig. Ihm brennen die Augen. Er schließt die Lider, während seine Gedanken zu dem Alptraum zurückwandern, der ihn in diese Lage gebracht |35| hat. Jetzt wünscht er sich nur noch, daß das Ganze bald ein Ende hat. Er hat keine Angst vor der Hinrichtung. Nicht einmal vor der Folter. Er möchte ohnehin nicht mehr leben. Wozu auch, nachdem er erfahren hat, daß seine Frau tot ist? Nur das Geschick seiner Tochter verbindet ihn noch mit der Welt. Aber sie hat zum Glück inzwischen jemanden, der auf sie achtgibt.
Nein, er hat genug. Allenfalls bedauert er, so viele Strapazen auf sich genommen zu haben, nur um jetzt kurz vor dem Ziel aufgeben zu müssen, gerade mal zwei Schritte von jenen schrecklichen Rätseln und Geheimnissen entfernt, die sich im tiefsten Inneren dieser Stadt verbergen und das Schicksal seiner Familie über Generationen bestimmt haben. Er würde alles dafür geben, sie noch ergründen zu können, auch wenn dort unten höchstwahrscheinlich unzählige Gefahren auf ihn lauern. Doch es ist zu spät. Noch während die Erinnerungen vor seinem geistigen Auge vorüberziehen und sich dabei Wüsten und Städte, Berge und Meere überlagern, fühlt er, wie ihn tiefe Müdigkeit überkommt …
Das laute Knarzen eines Schlüssels im Schloß weckt
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