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Kryptum

Kryptum

Titel: Kryptum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agustín Sánchez Vidal
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eigentlich bei ihr erwartet hätte, sondern ein frischer und anregender Zitronenduft.
    »Dieser Junge dort will uns etwas sagen.«
    Bealfeld, der vorne neben Gutiérrez saß, hatte es laut gerufen |259| , so daß Rachel zusammenzuckte. Gutiérrez’ Antwort, von scharfem Bremsen begleitet, riß sie endgültig aus dem Schlaf.
    »Das ist Enrique, sein Sohn«, erklärte der Inspektor.
    Die junge Frau schlug die Augen auf und hob abrupt den Kopf. Der Kryptologe spürte, wie peinlich es ihr war. Verlegen entschuldigte sie sich und zog dann einen Taschenspiegel aus ihrer Handtasche, um sich das Haar zu richten.
    Das Auto hatte neben dem winkenden Jungen gehalten.
    »Lassen Sie den Wagen bitte hier stehen«, bat er. »Mein Vater arbeitet da unten.«
    Bealfeld und der Inspektor blieben im Auto, während Rachel und David Enrique zu einer Schlucht folgten. Inmitten von Zistrosensträuchern entdeckten sie ihn. Er war kaum zu erkennen, wie er in seiner Tarnkleidung neben dem Tonbandgerät auf dem Boden lag.
    »Entschuldigen Sie«, sagte der Kryptologe. »Nehmen Sie gerade auf?«
    »Jetzt nicht mehr.« Der Mann nahm verärgert die Kopfhörer ab. »Seit das Mikrophon den Motor Ihres Wagens eingefangen hat. Und das, wo ich extra hergekommen bin, um dem Lärm von Antigua eine Weile zu entfliehen.«
    »Das tut mir leid.«
    »Machen Sie sich keine Gedanken. Es sind zudem noch einige Flugzeuge über den Wald geflogen. Ich werde gerade mal ein paar Minuten brauchbares Material haben.«
    »Das hier ist Rachel Toledano, und ich bin David Calderón. Ich nehme an, Sie sind Víctor Tavera, der Toningenieur.«
    »Ich bin nur ein unbedeutender Geräuschesammler, es ist meine Leidenschaft … Inspektor Gutiérrez hat mir von Ihnen erzählt.« Und an Rachel gewandt sagte er: »Sie sind also Saras Tochter.«
    »Kennen Sie sie?«
    »Natürlich, wer kennt Ihre Mutter nicht? Hoffentlich taucht sie bald wieder auf.«
    Er machte Enrique ein Zeichen, damit er anfing, die Ausrüstung zusammenzupacken.
    |260| »Was denken Sie, was ihr zugestoßen ist?« fragte Rachel, der man ihre wachsende Besorgnis ansah.
    »Ich weiß es nicht …«, brummte Tavera verlegen und drückte ihr dann beruhigend die Hand. »Sie können jedenfalls auf meine Hilfe zählen und …«
    »Was nehmen Sie hier eigentlich auf?« fiel ihm David ins Wort, da er sah, daß Rachel mit den Tränen zu kämpfen hatte.
    Tavera zeigte auf das Kalkgestein, das aus dem Gestrüpp ragte.
    »Ameisen.«
    »Sie nehmen mich auf den Arm …«
    »Sie glauben mir nicht? Wenn es absolut ruhig ist, kann ich das Geräusch aufzeichnen, das sie beim Laufen machen. Sie klopfen dabei mit dem Hinterleib auf den Boden.«
    »Das tun Ameisen?« erkundigte sich David überrascht.
    »Sie sind halb blind und an die Dunkelheit gewöhnt. Zum Kommunizieren bedienen sie sich des Klangs und der Gerüche. Wenn sie ihren Hinterleib einsetzen, klingt das wie afrikanische Trommeln.« Als er Davids skeptischen Blick sah, fügte er hinzu: »Ich kann Geräusche aufnehmen, die fast unhörbar sind, wie zum Beispiel eine Schnecke, die an einem Salatblatt kaut, oder das Steigen des Pflanzensafts im Frühling.«
    »Unmöglich …«
    »Von wegen! Das größte Problem ist, daß diese Mikrophone so empfindlich sind, daß selbst das Rauschen meines Blutes in den Ohren stört … Wissen Sie, wofür das ist?« Tavera steckte die Hand in die Hosentasche und zog ein Stück trockenes Brot hervor. »Damit mein Magen ruhig ist. Wenn er anfängt zu knurren, greife ich in die Tasche und beiße einmal ab, bevor er mir die Aufnahme ruiniert. Meine Gedärme gehorchen mir; sie sind nie auf meinen Tonbändern zu hören.«
    Er wickelte ein Kabel über dem Ellbogen auf und scharrte mit dem Fuß zwischen den Zistrosen, um zu überprüfen, ob darunter auch nichts liegengeblieben war.
    »So ist diese Arbeit nun mal, aber ich würde sie um nichts in der Welt eintauschen wollen.« Er lächelte und schloß seinen |261| Aluminiumkoffer. »Die Leute bemerken, daß die Bäume um uns herum immer weniger werden, aber die Erosion der Klanglandschaft bekommen sie nicht mit. Wenn ich Ihnen Aufnahmen von genau dieser Stelle aus den letzten Jahren vorspielen würde, könnten Sie hören, wie sie sich in der Zwischenzeit entvölkert hat. Einige der Insekten, die es früher hier gab, waren richtige Fossilien und über 60 Millionen Jahre alt. Ihr Verschwinden ist eine Tragödie.«
    Víctor Tavera sammelte seine letzten Gerätschaften ein, richtete sich auf und ließ den

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