Kryptum
spricht Müdigkeit. »Erzähl lieber, wie man dich hierhergebracht hat. Wo bin ich überhaupt?«
»Wir befinden uns im Alkazar. Hier wimmelt es nur so von Soldaten. Sie haben mich genötigt, meine Kleider abzulegen und diesen Kittel hier anzuziehen.«
|38| »So kannst du nichts in die Zelle hinein- oder aus ihr herausschmuggeln. Warum hat man mich nicht in einen gewöhnlichen Kerker geworfen?«
»Rafael vermutet, damit niemand den Kerkermeister oder die Wächter bestechen kann und Euch entkommen läßt, wie dies wohl nur allzuoft geschieht.«
»Dein Mann hat sicher recht. Deshalb also diese Eisentür mit dem so schweren Schloß!«
Ruth legt das Handtuch auf die Steinbank, geht einen Schritt zur Seite und streicht sich stöhnend mit der Hand über den Bauch.
»Was ist mit dir?«
»Mir ist übel. Ich bin guter Hoffnung, Vater.«
»Komm her, mein Kind. Setz dich zu mir und ruh dich etwas aus.«
Zum ersten Mal erkennt Ruth den Mann wieder, der sie als kleines Mädchen behütet hat. Als er noch voller Zärtlichkeit war. Vielleicht gibt es in ihm doch noch einen Funken Lebenswillen. Nur, wie erreicht sie es, ihn zu entzünden, bevor er für immer verlischt?
»Wir haben nicht viel Zeit«, warnt die junge Frau ihn und läßt sich neben ihm nieder. »Ihr dürft Euch nicht dieser furchtbaren Verbitterung ergeben, Vater. Es wird Euch guttun, mir zu erzählen, was Ihr meiner Mutter nicht mehr anvertrauen konntet. Ich muß wissen, was Euch widerfahren ist. Den Grund für Eure langen Abwesenheiten, Eure Reisen. Warum man Euch verfolgt und eingekerkert hat. Warum meine Mutter bis auf ihr Sterbelager schikaniert und mein Schwiegervater in den Ruin getrieben wurde. Und ich muß wissen, was uns … und unser Kind erwartet.«
»Ich sehe schon …« Randa schüttelt verdrossen den Kopf. »Deshalb haben sie dich also zu mir gelassen. Um mich mürbe zu machen. Sie wissen, daß es ihnen allein nicht gelingen wird, mir auch nur ein Wort zu entlocken.«
»Aber
was
wollen sie unbedingt erfahren?« bohrt Ruth nach.
»Erzählte ich es dir, würde ich nur dein Leben in Gefahr |39| bringen. Deshalb wollte sich auch deine Mutter darüber ausschweigen.«
»Mich werden sie nicht der Folter unterwerfen. Eine Schwangere rühren sie nicht an. Doch Rafael wird mit dem Schlimmsten rechnen müssen, wenn wir nicht wissen, woher uns Unheil droht. Und ich möchte unter keinen Umständen, daß mein Mann ein Leben lang von einem Ort zum anderen fliehen muß, so wie Ihr es getan habt! Und mich selbst möchte ich ebensowenig in der Rolle meiner Mutter sehen, deren Blick stets auf den Weg geheftet war, über den sie Euch nie zurückkehren sah.«
Raimundo Randa verbirgt sein Gesicht in den Händen und bleibt lange Zeit so sitzen. Als er schließlich aufblickt, verrät seine Stimme die widersprüchlichsten Gefühle.
»Ich weiß nicht, ob ich dir gewisse Dinge zu schildern vermag. Ob ich wirklich seelisch darauf vorbereitet bin. Oder du bereit, sie zu erfahren … Mein Gedächtnis wird mich sicher des öfteren im Stich lassen.«
»Ich könnte alles aufschreiben, was Ihr mir erzählt.«
In Randas Augen blitzt ein Hoffnungsschimmer auf.
»Das würdest du tun?«
»Ich habe eine schöne Handschrift. Und ein noch besseres Gedächtnis.«
»Und weißt du auch einen Ort, wo du diese Niederschrift sicher aufbewahren könntest?«
»Seid unbesorgt. Rafael und ich kennen ein gutes Versteck. Dort hinterlegen wir auch immer unsere Nachrichten für den anderen.«
»Du mußt dir dessen ganz sicher sein, mein Kind. Es handelt sich um uralte, sorgsam gehütete Geheimnisse, die auf keinen Fall verlorengehen dürfen. Schlimmer noch wäre es, gerieten sie in falsche Hände. Einige von ihnen erschließen sich nicht einmal mir. Aber vielleicht sind sie ja euch von Nutzen oder euren Nachkommen. Deshalb mußt du alles festhalten, bis ins kleinste Detail, denn diesen Einzelheiten mag eine bisher ungeahnte Bedeutung zukommen.«
|40| »Ich möchte auch all die Dinge über meine Mutter erfahren, die sie uns verheimlicht hat, damit die Vergangenheit nicht unsere Zukunft überschattet … Überdies wird es Euch guttun, Euer Gewissen zu erleichtern. Und wer weiß, vielleicht fällt uns zusammen sogar eine Möglichkeit ein, wie wir Eure Peiniger an der Nase herumführen können und Euch lebendig hier herausbekommen.«
»Da mache ich mir keine Hoffnungen«, murmelt Randa düster und trocknet sich ab. Während seine Tochter ihm den Rücken zudreht, entledigt er sich seiner
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