Kryptum
sie nach Jerusalem gebracht haben.‹
›Es ist ein schwieriger Markt‹, wandte er ein. ›Vor allem, seit Süleiman der Prächtige die Stadtmauern befestigt und die Stadt wieder hergerichtet hat. Viele Leute wollen sich dort niederlassen. Für unsereins gibt es eine strikte Quote. Man wird Euch nicht erlauben, Eure Familie ins Register der Stadt einzutragen. Zudem seid Ihr dort in großer Gefahr, denn in der Stadt wimmelt es nur so von Askenazis Agenten, die in dem wilden Getümmel schalten und walten können, wie es ihnen beliebt, im Unterschied zu Tiberias, wo alles unter unserer Kontrolle steht.‹
Als Don Moisés merkte, daß keines seiner Argumente mich von dem Vorhaben abbringen konnte, schickte er nach Rebecca und erklärte ihr mit ernster Stimme:
›Meine Nichte, falls ihr wirklich gehen wollt, müssen wir beide von Dingen sprechen, von denen nach dem Tod deines Vaters nur ich selbst noch Kenntnis habe. Es muß noch jemand anderes aus der Familie davon wissen, für den Fall, daß mir etwas zustoßen sollte.‹
Damit wollte er mir bedeuten, daß ich bei der Unterredung unerwünscht war, weshalb ich mich anschickte, das Zimmer zu verlassen und mit den Reisevorbereitungen zu beginnen. Doch einmal mehr wollte Rebecca ihr Schicksal mit dem meinen verbinden.
|296| ›Raimundo hat damals auf seiner langen Reise sein Leben viele Male aufs Spiel gesetzt, und er ist zurückgekehrt, um mir in schweren Zeiten Beistand zu leisten. Zudem ist er der Vater meiner Tochter und wird in guten wie in schlechten Zeiten an meiner Seite stehen. Er hat ein Recht darauf, in diese Geheimnisse eingeweiht zu werden. Und außerdem
will
ich, daß er sie erfährt.‹
Don Moisés kannte das Temperament seiner Nichte nur zu gut, weshalb er nicht einmal Anstalten machte, sich ihren Worten zu widersetzen.
›Nun, wenn das so ist, dann kommt mit, Raimundo. Doch solltet Ihr wissen, daß die Kenntnis dessen, was ich meiner Nichte zu offenbaren habe, Euch noch stärker an sie binden wird als eine Hochzeit.‹
›So sei es‹, willigte ich ein.
Er hieß uns, schon einmal in ein Hinterzimmer zu gehen, und kam nach einer Weile mit einer Schatulle aus Elfenbein, die ihrem Aussehen nach sehr wertvoll war. Sie war nicht mit einem gewöhnlichen Vorhängeschloß gesichert, sondern mit vier Rädchen, die mit Zahlen versehen waren, welche man so lange drehen mußte, bis sie eine bestimmte Zahlenkombination ergaben, wonach es sich öffnen ließ. Mit unverhohlener Bewunderung betrachtete ich den Mechanismus, den ich noch nie zuvor gesehen hatte, und nahm mir vor, ihn später eingehend zu studieren, weil ich den Verschluß gern nachbauen wollte. Moisés Toledano setzte sich zu uns, stellte die Schatulle auf seinen Schoß und wandte sich dann an mich.
›Hierin befindet sich das, was Euch das Leben hätte kosten können und wovon mein Bruder und vor allem Askenazi annahmen, Ihr hättet es gesucht, als Ihr damals jene Treppe so vorsichtig hinaufgeschlichen seid.‹
Er zog ein dünnes Pergament aus der Schatulle, das, wie mir schien, aus Gazellenleder war. Als er es hochhob, um es uns besser zeigen zu können, sah ich, daß es die Form eines Keils oder eines Zackens hatte und wahrscheinlich aus einem größeren Pergament herausgeschnitten war. Auf der einen Seite |297| waren breite geometrische Linien zu sehen, die mit einem glühenden Eisen labyrinthartig in das Leder eingebrannt zu sein schienen. Auf der Rückseite stand ein einziges Wort: ETEMENANKI. Ich versuchte mir in Erinnerung zu rufen, wo ich es schon einmal gehört hatte. Bis es mir einfiel: Karl V. hatte es in Yuste nach dem Entschlüsseln meiner Botschaft ausgerufen!
›Ihr werdet Euch fragen, was das ist‹, sagte Don Moisés. ›Nun, so hört gut zu, denn unter den Toledanos wird diese Geschichte zusammen mit diesem Pergamentkeil von Generation zu Generation weitergegeben. Euer Leben wird fortan davon abhängen.‹
Und er erzählte uns anschaulich und in allen Einzelheiten, was sich während der Regierungszeit von Alfons X., den man ›den Weisen‹ nannte, in Antigua zugetragen hatte. Seine Geschichte setzte ein in einer finsteren Winternacht, in der der Regen über das Land peitschte und Nebelfetzen über den Fluß zogen. Damals besaß Antigua nur eine einzige Brücke, die von bewaffneten Posten streng bewacht wurde. Die Familie der Toledanos genoß unter ihren Einwohnern großes Ansehen. In jener Winternacht also mußten sie einem Fremden helfen, unbemerkt in die Stadt zu gelangen.
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