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Kryptum

Kryptum

Titel: Kryptum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agustín Sánchez Vidal
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Bevölkerung zum Studium des Talmuds ermutigten. Im Laufe der Zeit waren viele Flüchtlinge und Vertriebene aus anderen Ländern nach Tiberias gezogen, in der Hoffnung, dort eine selbstverwaltete Gemeinschaft aufbauen zu können. Die Toledanos wollten ihnen die Furcht vor der immerwährenden Flucht nehmen, sie sollten dieses Land als ihr eigenes ansehen, und zwar für alle Zeiten. Die sterblichen Überreste vieler Juden ruhten bereits auf dem Friedhof der Kolonie, darunter der große Philosoph und Arzt Maimonides. Und dort, an einer sehr schönen Stelle, bestatteten wir auch Don José.
    Was wir in Tiberias sahen, rief unsere tiefe Bewunderung hervor. Die Toledanos hatten viele fähige Leute und die besten Handwerker für ihre Idee gewinnen können. Auf diese Weise war in Tiberias ein bedeutendes Textilgewerbe entstanden. Man hatte Merinoschafe aus Kastilien importiert, welche die beste Wolle hatten, um mit den so hochgeschätzten venezianischen Stoffen wetteifern zu können. Zur Zucht von Seidenraupen waren Maulbeerbäume gepflanzt worden. Die Handelsgesellschaft konnte mühelos die ganze Produktion an den Mann bringen, denn man kontrollierte mehrere Märkte und hatte ein Monopol auf den Handel mit Griechenland und Süditalien; de facto stammten einige der Seidenballen, die wir in Bursa gesehen hatten, von hier.
    Don José hatte sich nichts sehnlicher gewünscht, als seinen Lebensabend in Tiberias zu verbringen, nicht zuletzt, um seinen Glauben an die Zukunft jener Kolonie zu bekunden. Er hatte sich eine wundervolle Villa errichten lassen, ganz in der Nähe der heißen Quellen, die seinen müden Knochen so gutgetan hätten; vom Haus aus gab es sogar einen direkten Zugang.
    Dort fanden deine Mutter und ich zum ersten Mal Ruhe und Frieden für uns selbst. Wir bemühten uns, all unseren Kummer |294| hinter uns zu lassen und ein neues Leben zu beginnen, ohne irgend etwas, das uns an die Vergangenheit band. Und dort wurdest du geboren, meine Tochter.«
    Randa seufzt und verfällt dann lange Zeit in Schweigen. Noch immer wühlt es ihn auf, wenn er sich an das Glück jener Jahre mit Rebecca erinnert, als sie sich ganz dem Begehren und ihrer Liebe hingeben konnten.
    »Und was geschah dann?« fragt ihn Ruth nach einer Weile behutsam und reißt ihn damit aus seinen Erinnerungen.
    »Zunächst lief alles gut. Deine Mutter webte mit ruhiger Hand ihre Stoffe. Sie war ein großes Organisationstalent und am Webstuhl sehr geschickt. Das hast du von ihr geerbt, du hattest ja auch die beste Lehrerin. Ich half ihr, indem ich ihren Webstuhl verbesserte. Seit ich in Konstantinopel zunächst Rinckauwer und dem Uhrmacher und dann inYuste Juanelo Turriano zugesehen hatte, war mein Interesse für mechanische Erfindungen geweckt. In Tiberias begann ich mich auch mit der Goldschmiedekunst zu befassen. Wir hätten uns nicht mehr wünschen können.
    Aber nach den ersten Jahren änderten sich die Dinge. Der türkische Statthalter, der seine schützende Hand über uns gehalten hatte, starb und wurde durch einen anderen ersetzt, der uns weniger wohlgesonnen war. Immer wieder gab es Probleme mit der Lebensmittelversorgung und dem Verkauf unserer Ware. Die Überfälle durch die Beduinen häuften sich, da der Eifer der zu unserem Schutz abgestellten türkischen Soldaten nachließ. Unschwer erkannten wir in alldem Askenazis Einflußnahme.
    Doch das Schlimmste stand uns noch bevor. Das ach so blaue, sauber wirkende Wasser des Galiläischen Meers stellte sich nämlich als trügerisch heraus. Etliche der Bewohner unserer Kolonie wurden von einem Fieber niedergeworfen, dem wir zunächst keine besondere Bedeutung beimaßen. Doch nach einiger Zeit sahen wir, daß sich die durch das Fieber verursachten Todesfälle mehrten. Das Furchtbarste war, daß wir so unser zweites Kind verloren. Als Rebeccas Wehen einsetzten |295| , bekam sie einen so starken Fieberanfall, daß sich das Neugeborene nicht wieder davon erholte.
    Die Epidemie raffte zwei Drittel der Bevölkerung dahin. Auch du wurdest krank. Da das Klima Rebecca und dir augenscheinlich so schlecht bekam, überlegten wir, nach Jerusalem überzusiedeln. Die Stadt liegt höher, und deshalb ist die Luft dort auch klarer. Als wir mit Moisés Toledano darüber sprachen, riet er uns jedoch vehement davon ab.
    ›Wovon wollt Ihr dort leben?‹ fragte er.
    ›Von Rebeccas Arbeiten am Webstuhl und meinen Goldschmiede- und Handwerkskünsten‹, antwortete ich ihm. ›Wir haben unsere Waren immer gut verkauft, wenn wir

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