Kryptum
Flüchtling vom Escorial hielten.
›Nachts streunt ein riesiger schwarzer Hund dort herum‹, flüsterte einer. ›Er hat drei Köpfe und zieht eine schwere Kette hinter sich her. Sein Jaulen läßt die Handwerker nicht schlafen und die Mönche im Chor nicht beten …‹
›Es heißt, es ist der Zerberus‹, raunte ein anderer, ›der Hüter des Eingangs zur Unterwelt. Die Stelle, über der das Kloster erbaut wird, ist eine ehemalige Schlackenhalde, die man von jeher unter dem Namen Höllenschlund kennt. Und nachts |372| sieht man Flammen hochschlagen, und giftige Dämpfe steigen auf …‹
›Das ist wegen der seltsamen Versuche, die dort unten durchgeführt werden. Die Öfen brennen Tag und Nacht, man will wohl etwas verbergen …‹
›Viele der Handwerker sind schon an einer Vergiftung gestorben, darunter die besten Glasbläser des Reichs, die von den hohen Löhnen angelockt worden waren. Nur wenige halten länger als ein paar Monate durch, spätestens dann segnen sie das Zeitliche. Sofern sie nicht vorher die Flucht ergreifen …‹
›Dieser Escorial ist voller abgründiger Geheimnisse …‹
Obwohl er mit dem Rücken zu ihnen saß, was das Zuhören erschwerte, war ich mir sicher, daß Turriano ihrem Gespräch ebenfalls gefolgt war. Als wir uns zur Nachtruhe zurückzogen, sprach ich ihn darauf an.
›Wieviel Wahrheit liegt in dem, was die Leute erzählen?‹
Er strich sich unschlüssig über den Bart, bevor er mir eine Antwort gab.
›Ich weiß es nicht. Um viele der Dinge, die im Escorial vor sich gehen, wird ein großes Geheimnis gemacht. Es werden dort zum Beispiel übermäßig große Wasserkanäle gegraben, und das, obwohl das Kloster noch nicht einmal halb fertig ist. Ich habe mit Francisco de Montalbán gesprochen, dem königlichen Brunnenwart, und auch er kann sich nicht erklären, wozu man soviel Wasser stauen will. Und im Apothekenturm ist ein riesiger Destillierkolben aufgestellt worden, über den Herrera die Aufsicht führt und der schon einige Opfer gefordert hat. Der Wundarzt, Francisco Gómez, zeigt sich jedenfalls überrascht von den Krankheiten, die aufgetreten sind. Manche behaupten, man würde die Toten auf dem freien Feld verscharren und nicht in geweihter Erde begraben. Was ein großes Sakrileg wäre.‹
All dies verstärkte meine Befürchtungen, aber auch mein Verlangen, jenen rätselhaften Ort endlich kennenzulernen, von dem ich inzwischen angezogen wurde wie die Motten vom Licht. Bevor ich einschlief, wünschte ich mir deshalb |373| noch, es möge bald tagen, damit wir uns wieder auf den Weg machen konnten.
Der Anblick, der sich mir bot, als wir uns dem Escorial näherten, war von geradezu überwältigender Erhabenheit. Tatsächlich war erst ein Teil des Klosters vollendet, und das Ganze war noch eine riesige Baustelle. Aber schon das reichte, um in Staunen zu geraten. Die mächtigen Türme ragten zwischen einem Gewirr von Baugerüsten, Lastkränen und Seilwinden empor. Allein für die Basilika waren über zwanzig zweirädrige Winden im Einsatz. Unzählige Arbeiter mischten Mörtel und zogen Mauern hoch, während die Meister hin und her liefen, um den Fortschritt der Arbeiten zu überprüfen und die Gesellen und Handlanger anzutreiben. Mitten aus diesem Durcheinander erwuchs eine festungsähnliche Anlage, in fast musikalischem Einklang von Händen und Werkzeugen, die genau zur rechten Zeit und am rechten Ort zugriffen, wenn die Steine auf ihre mit dem Meißel vorbereiteten Plätze gehoben wurden, begleitet vom traditionellen Gesang der Steinmetze, ihren Liedern im
pantoja
, wie sie die Sprache ihrer Zunft nannten.
›Kommt mit‹, sagte Herrera, sobald wir auf der Baustelle standen.
Wir machten einen Bogen um die qualmenden Kalköfen und die Tröge, in denen die Maurer den Mörtel anrührten. Rundherum stapelten sich Quadersteine, Ziegel, Kacheln und Gipssäcke, und das in solchen Mengen, daß man damit eine ganze Stadt hätte errichten können. Staunend sahen wir uns um und traten dann einen Schritt zur Seite, um die Zimmerleute vorbeizulassen, die Planken und Latten für Türen und Fenster herbeitrugen. Weiter hinten drehten die Seiler den Hanf zu dicken Seilen und flochten hohe Tragekörbe, aus den Schmieden waren laute Hammerschläge zu hören, Zinn und Kupfer wurden zum Schmelzen erhitzt, die Gußpfannen danach auf große Bleiplatten ausgeleert, Eisen zu Fenstergittern und Beschlägen geschmiedet. Turriano trat näher, um sich alles genauer anzusehen.
|374| ›Woher
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