Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kryptum

Kryptum

Titel: Kryptum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agustín Sánchez Vidal
Vom Netzwerk:
Rachel ihm vorgehalten. Und dann hatte sie sarkastische Bemerkungen über die Muster gemacht, die er in der Arbeit seines Vaters zu erkennen glaubte. Ein Grundmuster? Das sowohl für Schneekristalle, Pflanzen, Tiere und |397| das menschliche Gehirn diente …? Wie komme er denn darauf ? Und warum solle sie ihm überhaupt glauben, wenn er ihr nicht einmal verrate, wo er Pedros Aufzeichnungen herhatte?
    Was kommt es jetzt auf meine Quellen an! dachte David, wichtig sind doch die Tatsachen. Zum Beispiel, daß Pedro kilometerweise Papier und die besten Jahre seines Lebens für diese Arbeit geopfert hatte. Er wußte nur zu gut, daß sein Vater nicht verrückt gewesen war. Wonach hatte er also gesucht? Hatte er versucht, den Ursprung zu finden, die Regel, die jene labyrinthischen Linien auf den Pergamentkeilen hervorgebracht hatte? Aber warum? Waren sie so wichtig? Und woher stammten sie letztlich? Welche Macht hatten sie über den Verstand, gruben sie sich doch anscheinend in ihn ein, bis sie im Traum projiziert wurden und die eigene Sprache außer Kraft setzten? Suchten sie etwa – eigenmächtig wie ein Computerwurm – nach einer anderen Sprache, nach vormaligen Codes, die in den tieferen Schichten des Bewußtseins verborgen lagen? Und Saras Entdeckungen, all das, was sie beim Studium des Inquisitionsprozesses gegen jenen Raimundo Randa herausgefunden hatte? Würden ihre verschwundenen Notizen Licht in dieses Geheimnis bringen? Über diese und viele andere Dinge hatten sie an diesem Vormittag gesprochen und diskutiert, Kästchen um Kästchen hatten sie Pedros Papiere studiert und versucht, das Muster herauszufinden, das hinter allem steckte. Jetzt schwiegen sie lieber, um nicht noch mehr Öl ins Feuer zu gießen. Wortlos liefen sie nebeneinander her, bis sie in eine Gasse bogen, die auf den ersten Blick eine von Antiguas zahllosen Sackgassen zu sein schien. Doch als sie an der Wand am Ende der Gasse angelangt waren, tat sich vor ihnen eine schmale Kehre auf, die für eine Person kaum breit genug war.
    Dort mußte auch der Lieferwagen stoppen, der ihnen unauffällig gefolgt war. Hinter den verspiegelten Scheiben überdachte der schwarzgekleidete Mann die Lage. Dann wandte er sich an den muskulösen Rotschopf mit Bürstenhaarschnitt auf dem Fahrersitz und befahl:
    »Schau es dir mal an.«
    |398| Der Rothaarige stieg aus und kam nach wenigen Minuten zurück.
    »Keine Chance. Der Durchgang führt zu einem Innenhof. Ein anderer Ausgang ist nicht zu sehen.«
    »Dann wartet ihr hier.« Der Mann in Schwarz hatte sich zu dem zweiten Mann umgedreht, der im Fond saß. »Ich muß zum Flughafen, um den Boss abzuholen.«
    »Und was machen wir, wenn sie rauskommen?«
    »Ihnen unbemerkt folgen natürlich. Und mich auf dem laufenden halten.«
    Nachdem sie den schattigen Innenhof mit dem eindrucksvollen Bogengang durchquert hatten, der eines Palastes würdig war, standen David und Rachel nun vor einem eisenbeschlagenen Portal. Rachel drückte den Klingelknopf.
    Ein Fahrstuhl fuhr sie ganz nach oben zu dem privaten Reich ihres betagten Gastgebers. Marina, die Haushälterin, öffnete ihnen. Rachel begrüßte sie herzlich.
    »Hier entlang, bitte. Der Señor erwartet Sie auf der Terrasse.«
    David war überrascht, als sie das große und hohe Wohnzimmer betraten. Alles, was im Eingangsbereich beengt und dunkel war, verwandelte sich hier oben in lichtvolle Weite. Eine Wendeltreppe führte zu einem Steg auf halber Höhe, da sich die Bücherregale bis hoch zur Decke erstreckten. Auf den breiten, gemaserten Holzdielen lag ein prächtiger Teppich, und an zwei Wänden hingen ein Paar venezianische Spiegel und drei wertvolle Gemälde. Einige Ledersessel luden dazu ein, es sich gemütlich zu machen.
    Was sofort seine Aufmerksamkeit auf sich zog, war jedoch die Aussicht, die sich einem von dort oben bot. Die Stirnseite des großen Raumes war komplett verglast, und da das Gebäude auf einem Hügel stand, breitete sich praktisch die ganze Stadt vor einem aus. Eine große Terrasse aus schwerem Teakholz verlängerte das behagliche Wohnzimmer nach draußen und gab den Blick frei auf eine Landschaft aus Ziegeldächern, über die die Katzen spazierten, auf eine von hier oben fremd |399| aussehende, geheimnisvolle Stadt, deren Lärm nur gedämpft heraufdrang.
    Die Terrasse, auf der Maliaño sie erwartete, war in Sonnenlicht getaucht. Mit seinem langen, weißen Bart wirkte der alte, elegant gekleidete Mann wie aus einer anderen Zeit. Er goß gerade die

Weitere Kostenlose Bücher