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Kryptum

Kryptum

Titel: Kryptum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agustín Sánchez Vidal
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Deshalb preßte Herrera seine Lippen erneut an mein Ohr.
    ›Egal was passiert, laßt Euch um nichts in der Welt blicken.‹
    Dann hob er den Kopf über die Bücher.
    ›Habt Ihr mich erschreckt, Eure Majestät! Ich bin’s, Juan de Herrera, Euer ergebener Architekt.‹
    Die Situation war so eigentümlich, daß ihr Ausgang völlig ungewiß war. Mitten in der Nacht standen sich der König und sein Architekt gegenüber. Beide waren heimlich in die Bibliothek eingedrungen, jeder mit einem Duplikat des Schlüssels, den als einziger eigentlich nur Montano besitzen durfte, der für ihn offiziell verantwortlich war und unterdessen in seiner spartanischen Zelle ruhig und fest schlief, eingehüllt in den Seelenfrieden, den ihm seine asketische Lebensweise bescherte.
    Ich hörte, wie Herrera sich schon anschickte, irgendeine Erklärung für sein Eindringen zu stammeln, da bemerkte ich, daß es der König war, der sich seltsamerweise verpflichtet fühlte, seinem Architekten die Gründe für seinen nächtlichen Ausflug in die Bibliothek darzulegen. Und er tat dies auf so törichte Weise, daß es offensichtlich war, daß der Monarch nicht die Wahrheit sagte. Philipp II. war derart besorgt, daß man ihm auf die Schliche käme, daß er sich in unzähligen Details erging.
    ›Ich konnte nicht einschlafen, weshalb ich ein Buch suchte, das mir die Zeit vertreiben sollte, bis ich schläfrig werde. Aber ich konnte es in meinem Gemach einfach nicht finden. Ich dachte, ich hätte es in der kleinen Truhe unter dem Sitz meiner Kutsche gelassen, in der ich immer etwas Lektüre aufbewahre, die mich auf meinen anstrengenden Reisen erquicken soll. Doch auch da fand ich es nicht. Da kam mir in den Sinn, daß ich den Band vielleicht schon Montano gegeben hatte, damit er ihn zu den anderen in die Bibliothek stellt. Deshalb bin ich hier.‹
    Herrera hatte ihn reden lassen und nickte nun eifrig, als sei |393| das die natürlichste Sache der Welt, bevor er sich seinerseits erklärte.
    ›Als ich hörte, daß der Wind sich erhob, machte ich mir Sorgen um eines der Fenster, das wir offengelassen hatten, damit eine feuchte Stelle im Putz trocknet. Da ich wohl weiß, wie sehr Eure Majestät an diesen Büchern hängt, fürchtete ich um sie und eilte herbei, um das Fenster zu schließen.‹
    Mehr Worte wurden darüber nicht verloren. Weder erklärte der König, woher er seinen Schlüssel hatte, noch fragte er nach Herreras oder warum dieser sich in der Bibliothek eingeschlossen und dann hinter den Büchern versteckt hatte. Und er dachte auch nicht mehr daran, das Buch mitzunehmen, das er dort angeblich gesucht hatte. Er reichte seinem Architekten lediglich den Schlüssel, den er vom Boden aufgehoben hatte. So wurde ich unbemerkt Zeuge einer stillschweigenden Übereinkunft, es dabei bewenden zu lassen, die so gewiß nicht möglich gewesen wäre, wenn Seine Majestät um meine Anwesenheit gewußt hätte.
    Dann verfolgte ich, wie Herrera mit dem König, jeder mit seinem Schlüssel in der Hand, hinausging. Später erzählte mir der Architekt, seine Absicht sei es eigentlich gewesen, die Tür offenzulassen, damit ich hinter ihnen hinausschlüpfen könne. Aber dann sei ihm eingefallen, daß der König Verdacht schöpfen könnte, und dieses Risiko habe er nicht eingehen wollen. Über allerlei Dinge des Hofes plaudernd, schloß er also hinter ihnen ab, und dann verhallten ihre Schritte den Korridor hinunter.
    Nur ich blieb zurück, eingeschlossen und mit nichts anderem bewaffnet als mit zwei erloschenen Kerzen. Es leben der König und sein Architekt! dachte ich, mal sehen, wie ich nun hier herauskomme. Ich zwang mich, meine Lage ruhig zu überdenken, und kam zu dem Schluß, daß ich nicht mit dem Leben davonkommen würde, sollte man mich in der Bibliothek entdecken. Mit einer so dunklen Vergangenheit wie der meinen würde man mich für einen feindlichen Spion halten, wenn nicht gar für Schlimmeres.
    |394| Also sah ich mir die Tür genau an und rüttelte an der Klinke, wenn auch sachte, um ja keinen Lärm zu machen. Danach untersuchte ich das Türschloß, eine jener gewissenhaften Arbeiten Turrianos, dessen Geschicklichkeit in solchen Dingen ich schon oft bewundert hatte, nun aber verfluchte, waren Klinke wie Schloß doch so solide gearbeitet, daß es unmöglich war, durch die Tür zu entfliehen, ohne einen riesigen Aufruhr zu verursachen. Und auch die Fenster, durch die das Mondlicht hereinfiel, boten mir keine Fluchtmöglichkeit, denn sie waren vergittert und

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