Kryptum
eingelegt.«
»Und wo finde ich in NewYork Anislikör?«
|406| »Kannst du denn kochen? Bei dem bewegten Leben, das du führst, hast du doch sicher keine Zeit dafür«, mischte Maliaño sich ein.
»Ein bißchen was hat mir meine Mutter beigebracht. Aber das ist lange her. Sie hat in den letzten Jahren auch nicht gerade ein häusliches Leben geführt … Was für Gründe kann sie gehabt haben, um diese alte Familiengeschichte wieder auszugraben?«
»Sie sagte, ihr bleibe nicht mehr viel Zeit.«
»Glaubst du, sie ist in die unterirdischen Gänge hinabgestiegen?«
»Sicher, bei der erstbesten Gelegenheit.«
»Und wo?«
»Da bin ich überfragt. Sie hat mir nicht alles erzählt.«
»Und was sagst du zur Plaza Mayor? Du warst doch dort, als an Fronleichnam die Erde aufriß.«
»Du meinst die Sache mit dem Papst? Das ist ziemlich seltsam. Sara hat mir das, was sie euch darüber schreibt, vor Tagen schon angedeutet.«
»Du glaubst also, daß sie es ist, die hinter diesem merkwürdigen Gestammel steckt?«
»Ausschließen würde ich es nicht.«
»Aber wie sollte sie das von dort unten aus tun?«
»Die Plaza Mayor hat ein außergewöhnliches Akustiksystem, das dem der römischen Amphitheater nachempfunden ist. Es gibt eine Reihe von Öffnungen, die in regelmäßigen Abständen in den Platz eingelassen sind und wie Schallverstärker wirken. Sie sind mit den unterirdischen Gängen verbunden. Jemand, der dort unten ist, könnte mit ihrer Hilfe den Platz in ein gigantisches Megaphon verwandeln. Habt ihr schon Víctor Tavera kennengelernt, den Geräuschesammler?«
»Wir waren gestern bei ihm.«
»Tavera kann euch das besser erklären als ich. Er nimmt schon seit vielen Jahren die merkwürdigen Geräusche auf, die die Plaza Mayor von sich gibt. Vermutlich sind sie auf Gesteinsverschiebungen zurückzuführen. Einige davon gehen einem |407| wirklich durch Mark und Bein. Manche sagen, dasselbe passiere, wenn eine Menschenmenge plötzlich einen emotionalen Schock erleide; das wirke sich auf den Ort des Geschehens aus. Und starke Emotionen hat es auf diesem Platz in der Vergangenheit natürlich schon viele gegeben. Man denke nur an all die Hinrichtungen und Ketzerverbrennungen, die Stierkämpfe und Mysterienspiele, die eucharistischen Kongresse …«
»Aber gibt es diese unterirdischen Gänge denn wirklich?«
»Die gibt es, das kann ich dir versichern. Etwas anderes ist es, daß es niemandem bisher gelungen ist, mehr als ein paar hundert Meter vorzudringen, weil einem immer irgendein Hindernis den Weg versperrt: eingestürzte Mauern, eine Wand …«
»Was denkst du, wie tief meine Mutter vorgedrungen ist?«
»Das kommt darauf an, wo sie hinabgestiegen ist.«
»Den Briefen nach zu urteilen, die sie David und mir geschickt hat, schien sie einer sicheren Spur zu folgen.«
»Was für einer Spur? Ich meine, wo hatte sie die her?«
»Aus dem Archiv des Convento de los Milagros.«
»Das klingt einleuchtend. Schon viele Jahre war Sara hinter den Dokumenten dieses Inquisitionsprozesses her, aber man hatte ihr bisher immer den Zutritt verwehrt …« Maliaño wischte sich die Lippen mit der Serviette ab. »Seid ihr fertig? Dann kommen wir zum Hauptgericht. Rachel, wärst du so nett, Marina Bescheid zu sagen und die Flasche Rotwein aus der Küche mitzubringen?«
Kaum hatte die junge Frau den Raum verlassen, wandte sich der Architekt mit leiser Stimme an David.
»Entschuldigen Sie meine Neugierde, aber wie sind Sie in dieses ganze Durcheinander geraten?«
Den Kryptologen überraschte die Frage, aber er zögerte keine Sekunde mit der Antwort.
»Bevor Sara nach Antigua gereist ist, hat sie mich gebeten, in der Stiftung die Stellung zu halten. Sie brauchte dort eine Person ihres Vertrauens, jemanden, der ihr zur Hand gehen konnte bei dem, was sie nach und nach entdeckte. Beantwortet das Ihre Frage?«
|408| »Na ja …« Der Architekt zauderte. »Ich will offen zu Ihnen sein. Es wundert mich einfach, daß sie Sie mit ihrer Tochter zusammengebracht hat. Sara vergöttert Rachel, auch wenn die beiden ein sehr distanziertes Verhältnis hatten.«
»Ich habe schon früher für Sara Toledano gearbeitet und …« David verstummte, als er Rachel mit der Weinflasche zurückkommen sah.
Marina räumte die Teller ab und servierte einen Lammbraten. Der alte Herr ließ David den Rotwein probieren und begann dann das Lamm zu tranchieren. David zeigte auf ein Bild auf dem Kaminsims.
»Dieses Porträt dort, ist das ein Foto oder eine
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