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Kryptum

Kryptum

Titel: Kryptum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agustín Sánchez Vidal
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Röntgenaufnahme?«
    »Auf gewisse Weise ist es beides«, erwiderte der Architekt. »Erkennen Sie nicht, wer das ist?«
    »Es sieht Sara irgendwie sehr ähnlich. Aber eigentlich ist es das Gesicht eines Mannes, oder?«
    »In dieser Fotografie steckt tatsächlich Saras Gesicht«, versicherte der Architekt. »Aber auch das von Abraham. Und das aller Toledanos, deren Porträt ich finden konnte. Nur du fehlst noch, mein Kind. Dein Großvater nannte das ein genealogisches Foto.«
    »Aber wie haben Sie das hinbekommen?«
    »Man nimmt das Familienalbum und sucht die Porträtaufnahmen zusammen, die ein ähnliches Format haben. Diese projiziert man dann auf ein- und dieselbe Fotoplatte, wobei die Belichtungszeit abhängig ist von der Anzahl der Vorlagen. Wenn man beispielsweise zwanzig Fotos hat, erhält jedes den zwanzigsten Teil der gesamten Belichtungszeit. Auf diese Weise sind die individuellen Gesichtszüge, die nur einmal auftauchen, hinterher fast gar nicht zu sehen. Die vererbten hingegen, die sich bei den einzelnen Familienmitgliedern wiederholen, überlagern sich und verstärken die vorangehenden. Manchmal tauchen Gesichtszüge, die in einer Generation verschwinden, in der nächsten wieder auf, wie der Fluß Guadiana, der zeitweilig unterirdisch fließt und dann wieder an die Oberfläche |409| kommt. Heraus kommt am Ende jedenfalls so etwas wie eine genealogische Radiographie.«
    Nach dem Mandarinensorbet, das sie schweigend löffelten, verkündete Maliaño:
    »Den Kaffee trinken wir auf der Terrasse.«
    Während Rachel und ihr Patenonkel sich in den Korbsesseln niederließen, ging David die Tasche mit den Dokumenten holen.
    »Der junge Mann ist sympathisch … und sieht auch gut aus, nicht wahr?« sagte Maliaño beiläufig, als er mit Rachel allein war.
    »Na ja …«, gab sie mit gespieltem Desinteresse zurück, »er ist aber auch sehr dickköpfig.«
    »Das sagt ja genau die Richtige! Ach, meine kleine Rachel, mir mußt du nichts vormachen. David ist dir nicht gleichgültig. Mein Gott, du wirst ja rot, röter als dein Kleid … Und sag jetzt bloß nicht, daß du dieses gewagte Modell meinetwegen gewählt hast«, meinte der alte Mann lachend.
    Da sah die junge Frau David zurückkommen, weshalb sie dem Architekten ein Zeichen gab, damit er das Thema wechselte. Sie kramte ihre Zigaretten hervor.
    »Macht es dir was aus, wenn ich rauche?«
    Der Architekt holte einen Aschenbecher und nahm Marina dann das Kaffeetablett ab. David hatte in der Zwischenzeit die Millimeterpapierbogen auf dem Tisch ausgebreitet.
    »Señor Maliaño, vorhin haben Sie von meinem Vater gesprochen. Und Sie haben gesagt, die Leute hätten ihn für verrückt gehalten. Meinten Sie damit die Zeit, in der er wie ein Besessener an diesen Bogen gearbeitet hat?«
    Der alte Herr zog seine Brille aus der Hemdtasche und sah sich das Millimeterpapier genau an.
    »Ja. Aber es gibt noch etwas, das ihr bei eurer Suche nach Sara bedenken solltet. Vor kurzem haben sie und ich etwas Ähnliches auf Plänen von Juan de Herrera entdeckt.«
    »Auf Plänen aus dem 16. Jahrhundert?« fragte David verblüfft.
    |410| Maliaño nickte und nahm einen Schluck Kaffee, bevor er bedächtig hinzufügte, als wolle er dabei seine Gedanken ordnen:
    »Und das ist kein Zufall. Diese Formen erinnern an die Schablonen der Morisken … die Vorlagen, die ein paar Maurer im 16. Jahrhundert benutzten. Sara zufolge tauchen sie in dem Inquisitionsprozeß auf, den sie im Archiv des Convento de los Milagros studierte.«
    »In ihrem Brief schreibt sie, ich solle Sie nach dem
freitäglichen
Regen
fragen. Und ich glaube, an Rachel hat sie dasselbe geschrieben.«
    »Darüber haben wir gesprochen, als wir uns das letzte Mal gesehen haben, während unseres Besuchs im Escorial. Die Sache mit dem
freitäglichen Regen
hat sich im 16. Jahrhundert zugetragen, zu Zeiten jenes Raimundo Randa. Ein Trupp Maurer war damals angezeigt worden. Sie arbeiteten freitags grundsätzlich nicht, mit der Begründung, daß es an diesem Tag immer regnete. Das erweckte den Argwohn der Behörden. Sie stellten Nachforschungen an und fanden heraus, daß sie allesamt miteinander verschwägert waren. Was sie zu der Vermutung führte, es handele sich bei den Maurern um Morisken, die freitags nicht arbeiteten, um den muslimischen Feiertag einzuhalten. Sie verhafteten und verhörten sie, durchsuchten ihre Häuser und entdeckten dabei die Keile eines Pergaments. Sara hat sie mir gezeigt. Ich denke, es sind die, die sie Ihnen

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