Kryptum
während er sich das Gesicht abwischte, gab er dem Riesen ein Zeichen. Der ergriff daraufhin eine schwere Stange aus massivem Eisen, hob sie mit beiden Händen in die Luft und versetzte meinem Vater einen brutalen Hieb auf einen seiner Füße, der über das Rad hinausragte. Deutlich war das Splittern der brechenden Knochen zu vernehmen. Der Fuß hing schlaff herab, nur noch gehalten von Sehnen und Haut; die Zehennägel waren abgesprungen, und aus jedem Zeh tropfte Blut.
Wieder stellte der Reiter seine Frage, mit dem gleichen Ergebnis. Auf seinen Wink hin zerschmetterte der Henker nun den anderen Fuß. Die Schmerzensschreie meines Vaters konnte ich nicht hören, sie wurden vom Gejohle der Mauren übertönt, das im Verlauf des Verhörs immer wilder wurde. Der Riese machte danach mit den Unterschenkeln weiter, die er zweiteilte, so daß die zersplitterten Knochen spitz herausragten. Gelähmt vor Entsetzen sah ich, wie das wäßrige Blut, vermischt mit gelblichem Fett und Knochenmark, auf die Pflastersteine des Hofs floß.
Der Maure erledigte seine Arbeit gewissenhaft. Über einen endlos scheinenden Zeitraum zermalmte er meinem Vater ohne Eile einen Knochen nach dem anderen: zunächst die Knie, dann die Oberschenkel, die Hüften, Handgelenke, Ellbogen, Oberarme, Schultern … Seine teuflische Geschicklichkeit bestand darin, sein Opfer mit extrem schmerzhaften, jedoch nicht tödlichen Schlägen zu peinigen. Was von meinem Vater noch übrig war, hing bald zwischen den Speichen des Rades, eine formlose Fleischmasse, die vor Schmerz so laut jaulte, daß es nicht auszuhalten war, und sich wie ein großer Krake wand, inmitten von all dem Blut, triefendem Fett und Knochensplittern …«
|50| Raimundo Randa verstummt. Er ist erschöpft, und Schweißperlen stehen auf seiner Stirn, als er mit leiser Stimme nach einer Weile hinzufügt:
»… auch nach all den Jahren höre ich seine Schreie noch immer in meinen Alpträumen. Dies ist wahrlich die längste und grausamste Foltermethode, mit der man einen Menschen zu Tode zu quälen vermag!«
»Beruhigt Euch«, beschwört ihn Ruth, während sie seine Schläfen behutsam mit dem feuchten Tuch abtupft. »Was ist danach geschehen?«
»Bevor er fortritt, deutete der Vermummte noch auf das Wohngebäude, in dem meine Mutter und die Mädchen eingesperrt waren, und befahl den Morisken, es in Brand zu setzen. Er wollte keine Zeugen. Dann rief er Alcuzcuz zu sich, vermutlich, um sich nach meinem Verbleib zu erkundigen. Alcuzcuz hätte mich verraten können. Doch er tat es nicht. Erst viel später erfuhr ich, daß er damals beteuerte, ich sei in die Wälder entkommen. Und er tat noch mehr für mich, mein ehemaliger Sklave. Als er begriff, daß es nicht lange dauern würde, bis die Flammen auf den Getreidespeicher übergreifen würden, wo ich mich versteckt hielt, lief er über den Hof herüber. Unter dem Vorwand, die Tiere freizulassen, nutzte er die Gelegenheit und stellte die Leiter unbemerkt hinter den Stallungen auf, so daß ich dort, von allen ungesehen, hinuntersteigen konnte. So rettete er mir das Leben.
Ich verbarg mich in einer der Zisternen, zum Schutz vor den Flammen. Ich weiß nicht, wie lange ich dort unten im Dunkeln kauerte, zitternd und hungrig. Erst, als ich Stimmen hörte, die ein ›christliches Begräbnis‹ für die Toten anordneten, schrie ich um Hilfe, schrie so laut ich konnte, damit sie mich herausholten.
Kurz darauf wurden die verkohlten Balken weggeräumt, die auf den Brunnenschacht gefallen waren, und jemand warf ein Seil zu mir herab. Als ich herauskroch, steifgefroren und geblendet vom Sonnenlicht, sah ich mich von einer Gruppe von Mönchen umringt. Da rief einer von ihnen meinen Namen |51| aus, und trotz meiner Benommenheit begriff ich, daß es Víctor de Castro war, der Bruder meines Vaters, der da vor mir stand.
›Es ist alles vorbei, mein Junge, ganz ruhig, weine nicht‹, sagte er beschwichtigend, während ich ihm schluchzend zu erzählen versuchte, was vorgefallen war. ›Ich nehme dich mit in mein Kloster.‹«
Randa verstummt erneut, als er sich an seinen Abschied von jenem Ort erinnert, während sich das Pferd seines Onkels den steinigen Pfad die Sierra hinuntertastete und er sich am Sattel festklammerte, um ein letztes Mal zurückzublicken. Was er damals sah, kam ihm vollkommen unwirklich vor. Er hatte soeben seine Familie verloren, und dennoch war um ihn herum überall der Frühling zu spüren, die Vögel zwitscherten und jagten sich von einem Ast
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