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Kryptum

Kryptum

Titel: Kryptum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agustín Sánchez Vidal
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rechts von ihrem Spinnrad aufzustellen. Dann ließ sie es schnurren und murmelte dabei einige arabische Worte.
    ›Das wird eure brüderliche Eintracht stärken‹, erklärte sie.
    Danach stand sie auf, ging mit der gesponnenen Wolle zum Webstuhl und gebot uns, jeweils mehrere bunte Fäden festzuhalten, die sich in unseren Händen verflochten, derweil sie sie in ein kunstvolles Teppichmuster einwob, das, wie sie uns erklärte, uralte Weisheitsschätze barg. Zum Schluß schnitt sie die Enden mit einer Schere ab und gab jedem von uns die Hälfte |45| davon. ›Dieses Band wird euch für immer verbinden‹, waren ihre Worte. Hier, sieh, ich trage es noch immer.«
    Randa zeigt seiner Tochter ein paar verblichene Fäden, die er um seinen Hals geknüpft hat.
    »Durch diese Rituale und meinen Schwur beruhigt, willigte Ishaq endlich ein, mich nach Hause zu begleiten. Zurück im Kastell, erklärte ich meinem Vater, was vorgefallen war, und erzählte ihm auch von meinem Versprechen. Er nickte.
    ›Wie schon gesagt, ich werde ihn nicht bestrafen. Aber es wird Zeit, daß wir ihn brandmarken.‹
    Ich wußte, daß unseren Sklaven ein Zeichen ins Gesicht eingebrannt wurde. Doch ich war davon ausgegangen, daß man bei Alcuzcuz eine Ausnahme machte.
    ›Vater, ich habe ihm mein Wort gegeben, daß er nicht bestraft wird‹, wiederholte ich eindringlich.
    ›Das ist keine Strafe‹, gab er mir zur Antwort. ›Er ist längst alt genug, um gekennzeichnet zu werden. Wenn er noch einmal davonläuft, könnte ihn jeder einfach behalten. Falls ich ihn zurückfordern wollte, würde man mich nur fragen: Und wo ist Euer Brandmal? Wie soll ich mir bei den Morisken Respekt verschaffen, wenn ich in meinem eigenen Haus nicht für Zucht und Ordnung sorge?‹
    All mein Bitten und Betteln war vergeblich. Während sich also das weißglühende Eisen seinen Wangen näherte, vernahm ich, wie Ishaq laut ausrief:
    ›
La taqabbahu al-wajha, fa-inna allaha khalaqa adama ’ala suratihi
.‹
    Nur ich verstand jene Worte aus dem Koran: ›Entstellt niemandem sein Gesicht, denn Allah schuf Adam nach seinem eigenen Bild.‹
    Sonst kam kein Laut des Schmerzes über Alcuzcuz’ Lippen. Er weinte auch nicht. Mir hingegen liefen während der ganzen Prozedur die Tränen in Strömen über die Wangen.
    Von jenem Tag an stotterte Alcuzcuz. Und er ließ mich nie wieder an den Geschichten seiner Vorfahren teilhaben, sah mich auch nicht mehr auf die gleiche Weise an. Mit einem |46| Wort, er verhielt sich mir gegenüber nicht mehr wie früher. Und ich? Ich spürte, daß sein Stolz tief verletzt worden war und in seinem Inneren der Haß wuchs. Ich war ihm nun ein Verräter, ein Feind mehr. Er sprach auch nicht mehr Arabisch mit mir, außer um mir mit wütender Stimme und drohendem Unterton eine Art Litanei vorzutragen, die übersetzt folgendermaßen lautete:
    ›O ihr Menschen, fürchtet euren Herrn! Das Beben der Stunde des Jüngsten Gerichts wird ein gewaltig Ding. Wenn in die Posaune gestoßen wird, wird keine Verwandtschaft mehr unter euch gelten, und ihr werdet einander auch nicht mehr befragen. An dem Tage, da ihr es erleben werdet, wird jede Mutter ihres Säuglings vergessen, und ablegen wird jede Schwangere ihre Last, und schauen werdet ihr die Menschen als Trunkene, wiewohl sie nicht trunken sind, an jenem Tage, da die Erde und die Berge erbeben und die Berge zu einem Haufen Sand und zum Spielzeug der Winde werden …‹
    Mit diesem Spruch antwortete er mir jedesmal, wenn ich ihn zum Spielen aufforderte. Alsdann schüttelte er den Kopf, zeigte auf das Brandmal in seinem Gesicht und schloß mit den Worten: ›Ich bin nicht dein Freund, ich bin dein Sklave.‹
    Ich fühlte mich einsamer denn je. Meinen Vater sah ich fortan mit anderen Augen und ging ihm aus dem Weg. Es gab auch kein Zurück mehr zu meiner Mutter und meinen kleinen Schwestern: Ich war inzwischen zum Mann herangereift, bald würde ich achtzehn Jahre alt werden. Im nachhinein bedauere ich mein Benehmen. Wenn ich gewußt hätte, daß ihnen nur noch wenige Monate zu leben blieben, hätte ich mich sicher anders verhalten. Ich konnte nicht ahnen, was uns bevorstand.
    In jener Gegend hatte es in der Vergangenheit immer wieder Unruhen und Kämpfe gegeben, war es zu unzähligen Blutbädern und Plünderungen gekommen. Meinem Vater war es gelungen, die Region zu befrieden. Doch der Schein trog; in Wirklichkeit war es nur eine Waffenruhe gewesen, die die Morisken genutzt hatten, um sich im geheimen bis an die

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