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Kryptum

Kryptum

Titel: Kryptum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agustín Sánchez Vidal
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Zähne |47| zu bewaffnen, und eines Tages fielen sie mit wildem Schwert und Lanzengeklirr bei uns ein.
    Nie hätten sie unsere Festung einzunehmen vermocht, wäre ihnen nicht einer der Burgbewohner zu Hilfe gekommen. Es war Alcuzcuz, der ihnen die nötigen Hinweise geliefert und sie durch den Geheimgang vom Fluß hinauf ins Burginnere geführt hatte. In dem Moment, als die Wachposten endlich merkten, was vor sich ging, waren sie auch schon drinnen. Ishaq höchstpersönlich half ihnen, das Haupttor zu öffnen. Ich befand mich gerade im Getreidespeicher, der über den Stallungen lag. Aufgeschreckt von dem Geschrei, blickte ich hinunter in den Hof. Doch es war schon zu spät. Von der Höhe meines Beobachtungspostens aus konnte ich Alcuzcuz zusehen, wie er den Sperrbaum entfernte, die Riegel zurückschob und dann die Zugbrücke herunterließ, um die Morisken hereinzulassen, die sich in der Umgebung versteckt hatten. Er sah mich ebenfalls. Er hob die Augen zu mir, verzog das Gesicht zu einer schrecklichen Grimasse und gab ihnen dann den Weg frei. Aber er verriet mich nicht. Einmal mehr überraschte mich seine Selbstbeherrschung.
    Die Angreifer nahmen die Burg im Sturm und schlachteten alles ab, was sich bewegte. Ich erinnere mich noch genau. Das aufgeregte Krächzen der Krähen auf dem Ziegeldach. Die Schreie, der Lärm, das viele Blut, all die aufgeschlitzten Leiber. Als sie meinen Vater packten, sah ich, wie Alcuzcuz auf ihn zeigte. Sie ließen ihn am Leben. Auch meine Mutter und meine Zwillingsschwestern verschonten sie und sperrten sie in eines der Wohngebäude. Zunächst dachte ich, dies geschehe zu ihrem Schutz, doch schon bald sollte ich eines Besseren belehrt werden. Ich fürchtete, daß Alcuzcuz jeden Augenblick auch mein Versteck aufdecken und mich zu meinem Vater herabklettern lassen würde, den man inzwischen gefesselt hatte. Doch nichts dergleichen geschah. Von allen andern unbemerkt, zog Ishaq die Holzleiter weg, die zu meinem Schlupfwinkel führte und mich über kurz oder lang verraten hätte. Starr vor Schreck wagte ich kaum noch zu atmen.
    |48| Von dort oben beobachtete ich, wie Alcuzcuz mit dem Rädelsführer des Aufstands tuschelte. Sie schienen auf jemanden zu warten. Nach einer Weile hörte ich ein Pferd über die hölzerne Zugbrücke galoppieren, und ein Reiter kam in den Hof gesprengt. Die Morisken wichen zur Seite. Seiner Kleidung nach zu urteilen war er kein Maure, sondern Christ. Als er vom Pferd stieg, versuchte ich einen Blick auf sein Gesicht zu erhaschen. Aber er verbarg es hinter einer schwarzen Maske.
    Er trat vor meinen Vater. Mir schien, daß er ihn verhörte; von meinem Versteck aus konnte ich seine Fragen allerdings nicht verstehen, denn er stand mit dem Rücken zu mir. Doch als er meinen Vater zu ohrfeigen begann, konnte ich dessen Gesicht nur zu gut sehen. Es war auf einmal blutüberströmt. Ich erschrak derart, daß ich zunächst nicht begriff, wieso er so stark blutete. Bis ich erkannte, womit der vermummte Mann ihn schlug. Er hatte seinen rechten Handschuh ausgezogen, und einen Moment lang glänzte seine metallene Hand im Sonnenlicht. Damals dachte ich noch, sie sei aus Eisen. Später erfuhr ich, daß es reines Silber war.
    Nachdem sich seine Wut entladen hatte, wischte der vermummte Reiter sorgfältig das Blut von seiner künstlichen Hand und zog sich den Handschuh wieder über. Da begriff ich, daß das für meinen Vater das Todesurteil bedeutete. Wie es vollstreckt werden sollte, ging jedoch weit über meine Vorstellungskraft hinaus.
    Der Mann mit der silbernen Hand wandte sich nun an den Anführer der Aufständischen. Dieser brüllte daraufhin einen Namen, und ein riesiger Maure trat vor. Der Vermummte zeigte stumm auf einen alten, klapprigen Karren, der in einer Ecke des Burghofs stand und zu dem der Riese nun ging, um eines der Räder abzumachen. Das Rad über dem Kopf bahnte er sich einen Weg durch das grölende Pack zum Brunnen mitten im Hof, wo er es flach über die Brunnenöffnung legte. Dann rissen sie meinem Vater die Kleider vom Leib und banden ihn, die Arme und Beine weit gespreizt wie ein Andreaskreuz, rücklings auf die hölzernen Radspeichen.
    |49| Hernach trat der Mann mit der Maske an den Brunnen und befragte sein Opfer erneut. Er erhielt auch dieses Mal keine Antwort. Da beugte er sich ganz tief über meinen Vater und brüllte ihn an, ja, er drohte ihm gar fürchterlich. Als Antwort spuckte ihn mein Vater jedoch nur an. Der Vermummte zuckte zurück, und noch

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