Kryptum
Diego de Castro. Ich bin der Sohn von Álvaro de Castro und Clara Toledano. So hieß meine Mutter. Wenn du mir aufmerksam zuhörst, wirst du bald erfahren, warum ich einen anderen Namen annehmen mußte.
Die erste Zeit in der Sierra von Granada ging es uns sehr gut. Mein Vater lockerte den Umgang mit den Morisken und brachte ihnen einiges Vertrauen entgegen. Leider konnte er sich nun nicht mehr soviel um mich kümmern, wie er es noch in Antigua getan hatte, und ich war inzwischen auch zu groß, um wie bisher mit meinen Zwillingsschwestern zu spielen. Als mein Vater mich irgendwann einsam durch das Kastell streifen sah, beschloß er, mir eine Überraschung zu bereiten. Am Tag meines dreizehnten Geburtstags kam er im Galopp in den Burghof geritten und rief lauthals meinen Namen. Ich lief herbei und sah ihn hoch auf seinem Roß sitzen, vor sich einen dunkelhäutigen Jungen, der etwas älter als ich sein mochte und nach Art der Mauren gekleidet war. Einer der Männer |43| meines Vaters wollte dem Jungen vom Pferd helfen, doch der sprang mit einem Satz selbst herunter. Er schien ein guter Reiter zu sein.
Mein Vater beugte sich vom Sattel herunter, legte ihm eine Hand auf die Schulter und sagte zu mir:
›Er ist dein; ich schenke ihn dir.‹
Der dunkelhäutige Junge machte sich von meinem Vater los, trat auf mich zu und sah mir gerade ins Gesicht. Seine tiefschwarzen Augen blitzten herausfordernd.
›Wie heißt du?‹ fragte ich ihn.
›Ishaq ben al-Kundhur‹, antwortete er und reckte den Kopf dabei stolz in die Höhe.
Ich nannte ihn schließlich Alcuzcuz, weil Couscous zu meinen Lieblingsspeisen gehörte. Mein Vater hatte ihn für mich gekauft, nachdem ihm zu Ohren gekommen war, daß der Junge der verwaiste Sprößling einer adeligen, mit dem letzten Maurenkönig von Granada verschwägerten Moriskenfamilie war. Er konnte lesen und schreiben, und zwar so gut, daß er mich in der arabischen Sprache zu unterrichten vermochte.
Sprach er in seiner Zunge, durchlief der Junge eine Verwandlung, als hätte er zahlreiche Stämme und Völker im Rücken. Seine Stimme schien ihn in eine Zeit zurückzuversetzen, in der seine Vorfahren noch in der Alhambra lebten und jene Legenden entstanden, die ebenso phantastisch waren wie die Stuckverzierungen in deren Sälen. Damals ahnte ich noch nicht, wie tief sie mich berühren, welche Welt sie mir offenbaren würden, die doch bereits in meinem Inneren schlummerte. Erst sehr viel später wurde mir klar, daß das Fernweh, welches mich wie eine Krankheit plagte, nichts weiter war als die Aufforderung, diese in mir verborgenen Gefilde endlich zu erforschen. All das übte eine unwiderstehliche Anziehungskraft auf mich aus und sollte mein Leben für immer prägen. Ishaq und ich wurden zu unzertrennlichen Gefährten. Drei Jahre lang wuchsen wir zusammen auf, fast wie Brüder. Bis sich eines Tages etwas zutrug, das tragische Folgen haben sollte.
|44| Wir hatten miteinander gerauft. Das war keine Seltenheit, es gehörte zu unseren Spielen. Doch an jenem Tag warf mich Alcuzcuz so unglücklich zu Boden, daß ich einen Steilhang hinabstürzte. Der Aufprall war wohl so heftig, daß ich ohnmächtig wurde. Von oben muß es so ausgesehen haben, als sei ich sehr schwer verletzt, möglicherweise sogar tot. Ishaq bekam es jedenfalls mit der Angst zu tun, und er lief davon. Meine Kopfverletzung war jedoch nicht der Rede wert. Nachdem ich das Bewußtsein wiedererlangt hatte, wusch ich mir an einem Bach das Blut aus dem Gesicht und kehrte ohne fremde Hilfe in die Burg zurück.
Als mein Vater erfuhr, was seinem einzigen Sohn zugestoßen war, befahl er, Ishaq aufzuspüren und gefangenzunehmen. Ich erklärte ihm, daß es doch nur eine Rangelei unter Knaben gewesen sei und keinerlei böse Absicht dahintergesteckt habe. Dann erbot ich mich, Ishaq suchen zu gehen, um so größeres Übel zu verhindern. Ich fand ihn an einem Ort, den wir oft gemeinsam aufgesucht hatten. Es war der Hof, wo sich die maurischen Spinnerinnen zur Arbeit versammelten und sich dabei Geschichten erzählten. Alcuzcuz wollte aber nicht mit mir zurückkehren, da er fürchtete, bestraft zu werden. Doch ich beruhigte ihn, versprach ihm, daß er nicht gemaßregelt würde, verbürgte mich sogar dafür. Eine alte, uns wohlgesonnene Maurin, die uns immer Süßigkeiten zusteckte, war Zeugin meines Wortes. Sie stand in dem Ruf, sich mit Zauberkunst auszukennen, und nachdem sie gehört hatte, was vorgefallen war, forderte sie uns auf, uns links und
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