Kryptum
beschlossen,
nach Hause
zurückzukehren, und deshalb sang er. Um das Geld zusammenzubekommen für die Überfahrt in seine Heimat.
Seine Heimat, das war Spanien. Er wollte nach Antigua, da er glaubte, die Stadt sei noch immer die Residenz des Königreichs. Ich gab ihm etwas Geld und beschaffte ihm Arbeit in der Kombüse von einem von Fartax’ Schiffen, das nach Westen unterwegs war. Hat er euch die Botschaft überbracht, die ich ihm für euch mitgegeben habe?«
»Das hat er.« Ruth nickt. »Als er hier ankam, war er sehr schwach und krank, und wir wollten ihn pflegen. Aber Artal, der uns überwachte, bedrängte ihn mit allerlei Fragen zu Euch. Doch der Alte konnte ihm nicht mehr erzählen. Da Artal glaubte, er wisse mehr, als er sagen wolle, übergab dieser Schuft ihn der Inquisition. Schließlich verbrannten sie ihn auf dem Scheiterhaufen, weil er Jude war. Das war seine Rückkehr nach Hause.«
Es fällt Randa schwer, die aufsteigende Wut über das Schicksal des Alten zu unterdrücken, als er jetzt den Schlüssel im Schloß hört und der Mann mit der silbernen Hand auf der Schwelle erscheint. Doch er weiß, daß er sich beherrschen muß, wenn er seine Pläne verwirklichen will. So preßt er die Lippen ans Ohr seiner Tochter und flüstert ihr zu:
»Es bleiben uns nur noch drei Tage. Glaubst du, du bekommst den Wandteppich bis dahin fertig?«
»Seid unbesorgt«, wispert Ruth zurück und steht auf.
Da richtet sich Randa doch an Artal und erkundigt sich mit unschuldiger Miene:
»Hat Euch Euer Armstumpf noch einmal Schmerzen bereitet?«
|520| »Verflucht sollt Ihr sein! Er hat mir noch nie so weh getan.«
»Dann habt Ihr den Mechanismus sicher mit irgendeiner abrupten Bewegung kaputtgemacht«, erklärt Randa und steigt zielbewußt die Stufen der Treppe hinauf, um die falsche Hand zu begutachten.
Der oberste Spion hält ihn jedoch mit einer abwehrenden Geste zurück.
»Ich glaube Euch kein Wort! Wer gewährleistet mir, daß die Hand mich danach nicht noch stärker peinigen wird?«
»Das würde nicht passieren, wenn Ihr sie mir für ein paar Stunden überlassen und mir meine Goldschmiedezangen bringen würdet, damit ich sie in aller Ruhe richten kann. Gestern konnte ich den Mechanismus nur unzureichend justieren.«
»Eure Goldschmiedezangen? Auf gar keinen Fall.«
»Dann kann ich auch nichts machen.«
|521| 9 Die unterirdische Stadt
Am Himmel über Antigua ballten sich dunkelgraue, elektrisch aufgeladene Wolkenberge, gegen die sich die Zypressen auf dem Friedhof scharf abzeichneten. Es war ein düsterer, schwermütiger Tag, wie für eine Beerdigung geschaffen. Wenn denn irgendein Tag für so etwas passend ist, dachte Kommissar John Bealfeld, als er aus dem Wagen stieg und auf den Eingang zuging. Er sah sich um. Er hatte keine Ahnung, in welcher der kleinen Kapellen entlang dem weitläufigen Hauptgang die Trauerfeier abgehalten wurde. Da entdeckte er einen der Mönche vom Orden der
Hermanos
Fossores de la Misericordia,
die für die Grabpflege zuständig waren. Der Mönch führte ihn zu einer Anschlagtafel, fragte Bealfeld nach der Uhrzeit und konsultierte dann die Liste mit den Trauergottesdiensten. Da dieser jedoch bereits zu Ende war, erklärte er ihm den Weg zu der Stelle, wo die Beisetzung stattfinden sollte.
Der Kommissar fand das Grab ohne größere Schwierigkeiten. Es befand sich inmitten einer Reihe eigentümlicher Grabmäler im Niemandsland zwischen katholischem Friedhof und dem für Nichtkatholiken. Die Familiengräber in diesem Bereich waren nicht mit den üblichen vierarmigen, sondern |522| mit würfelförmigen, sechsarmigen Kreuzen geschmückt. Dieselben, die er schon auf dem Wappen von Abraham Toledanos Stiftung und auf der Standarte der
Hermandad de la Nueva Restauración
gesehen hatte. Daran erinnerte Bealfeld sich jetzt, als er den ungewöhnlichen Leichenzug entdeckte. Angeführt wurde er von Mitgliedern der Bruderschaft, die den blumengeschmückten Sarg auf ihren Schultern trugen. Alle hatten sie ihre Trachten angelegt, um ihrem Mitbruder das letzte Geleit zu geben.
Vor dem offenen Grab machten sie halt und setzten den Sarg auf den darüberliegenden Brettern ab. Nach einer kurzen Trauerrede ihres Großmeisters spannten sie die Seile, damit die Totengräber die Bretter wegziehen konnten, und senkten den Sarg langsam in die Erde. Danach stellten sie sich in Reih und Glied auf, und einer von ihnen hielt den Trauernden, die nun einzeln vortraten, auf einer Schaufel Erde hin, damit sie eine
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