Kryptum
Wüste Einhalt zu gebieten suchen: all das ist das Mittelmeer.‹
|517| Er zeigte mir seine Ölmühlen, und ich sah, wie man hier hochwertiges Öl erhielt: Man ließ die Oliven auf geriffelten Backsteinen reifen, bis sie von alleine aufplatzten und das Öl herauszutropfen begann. Der Grindschädel tauchte seine Fingerspitze in das Öl und ließ dann den Tropfen wie ein Goldkorn im Sonnenlicht blitzen, bevor er seinen Finger genüßlich ableckte: Er forderte mich auf, es ihm nachzutun.
›Das ist die Träne des Öls, seine Quintessenz. Es gibt auf der ganzen Welt kein besseres.‹
Tags darauf kamen die Boten zurück, die Fartax nach Kairo geschickt hatte, und brachten Nachricht von den Büchern, die Maluk dem Wesir verehrt hatte. Sie berichteten, daß er selbst kein großer Leser sei, weshalb er sie dem Imam seiner ältesten Moschee geschenkt habe. Ich machte Grindschädel klar, daß ich dieser Fährte folgen und den Vorbeter aufsuchen mußte. Er hieß meine Idee gut.
›Ich werde dir ein Empfehlungsschreiben für den Imam mitgeben‹, erbot er sich. ›Aber zuvor lasse ich dir zum Abschied ein türkisches Festmahl bereiten.‹
Wir setzten uns auf große Kissen aus weichem, gepunztem Leder, die prächtig bemalt waren und um die man Tücher ausgebreitet hatte, mit denen wir zwischendurch unsere Hände säubern konnten. Zuerst wurden verschiedene Hülsenfrüchte und Gemüseeintöpfe mit kleinen kernlosen Rosinen aus Alexandria aufgetragen. Ein mit Zitronensaft verfeinertes Linsengericht, zu dem mit Hackfleisch gefüllte Weinblätter gereicht wurden, schmeckte mir dabei am besten. Als nächster Gang wurde uns dann ein gut gemästetes und in riesige Stücke zerlegtes Lamm serviert, das mit Fenchel, Kichererbsen, Spinat und Zwiebeln geschmort worden war.
Doch das Beste kam erst noch. So etwas hatte ich noch nie zuvor gesehen. Eine Reihe von Dienern trug einen ganzen gegrillten Ochsen herein, gefolgt von Euldj Alis Koch, der mit einem Schwert das Tier aufschlitzte. In einer Füllung aus Birnen und Mandeln verbarg sich darin ein Lamm, das er ebenfalls tranchierte. In seinem Bauch befanden sich Nüsse, |518| Pflaumen und mittendrin ein mit Honig und Koriander gefülltes Huhn. Und in dem Huhn … war ein Ei. All das war zusammen an einem riesigen Bratspieß über einem großen offenen Feuer geröstet worden. Doch trotz der beeindruckenden Füllungen war das Besondere an diesem Braten, daß das Ei seinen typischen Geschmack behielt. Der Grindschädel hatte zudem einen wirklich hervorragenden Koch, denn das Ei, das man mir zugedacht hatte, war auf den Punkt genau weichgekocht.
›Bist du sicher, daß es nicht zu hart ist?‹ fragte mich Fartax lächelnd.
Und im selben Augenblick merkte ich, daß meine Zähne auf etwas Hartes bissen. Ich zerteilte das Ei und fand darin einen großen Rubin. Nie habe ich mir erklären können, wie sie ihn dort hineinbekommen haben. Ich protestierte und wollte Fartax den Edelstein zurückgeben. Doch er bestand so hartnäckig darauf, daß es eine tödliche Beleidigung gewesen wäre, ihn nicht anzunehmen.
›Es ist ein Geschenk von uns beiden‹, erklärte er, ›von Ishaq und mir. Dein alter Freund hat ihn für dich ausgesucht.‹
Und er fügte noch einen großzügigen Beutel mit Goldmünzen hinzu, und auch Proviant und viele Dinge, die mir unterwegs nützlich sein konnten. Danach blieb mir nur noch eins, bevor ich die Küste in Richtung Kairo verließ:Ich mußte jemanden finden, der nach Spanien reiste, um ihm eine Nachricht für Rebecca und dich mitzugeben.
Deshalb ging ich zum Hafen, wo ich neben einer Seefahrerspelunke einen alten Mann entdeckte, der sang. Er hatte keine sonderlich gute Stimme. Er traf nicht einmal den Ton. Es war ein rauher Gesang aus heiserer Kehle, aber was er da in seinem holprigen Sephardisch sang, war so traurig, daß es mich tief erschütterte. Aus seiner Stimme schienen die ganze Bedrängnis und Erschöpfung der Seinen zu klingen, Gefangene von Gesetzen und Bräuchen, die ihnen unter so verschiedenen Himmeln auferlegt worden waren. Nachdem er die Münzen eingesammelt und seinen Stock genommen hatte, rief ich ihn. Er |519| drehte den Kopf in meine Richtung, und an der Art, wie er das tat, merkte ich, daß er blind war.
Ich führte ihn in die Spelunke und lud ihn ein. Dann erzählte ich ihm, wer ich war und was ich von ihm wollte, bevor ich ihn bat, mir seine Geschichte zu erzählen. Danach verstand ich, warum sein Gesang so herzzerreißend war. Er hatte
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