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Kryptum

Kryptum

Titel: Kryptum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agustín Sánchez Vidal
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von Mekka gesandt.‹
    Meine erste Regung war eine Mischung aus Verzweiflung und unbändigem Zorn, als mir bewußt wurde, daß sich mir die Fährte, die ich wie eine Chimäre verfolgte, erneut entzog. Ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, daß ich immer tiefer in etwas verstrickt wurde, dessen Sinn und Zweck ich nicht erfassen konnte, was mein jeweiliges Gegenüber irgendwie aber als bekannt vorauszusetzen schien. Ich ließ mir von meiner Verwirrung indes nichts anmerken und zeigte dem Imam ein Blatt Papier, auf das ich einige der Linien des Labyrinths aufgezeichnet hatte.
    ›Habt Ihr in einem dieser Bände vielleicht ein dreieckiges Stück Pergament gefunden? Mit einem ähnlichen Muster wie diesem hier?‹ fragte ich.
    ›Das habe ich in der Tat‹, antwortete er ohne den geringsten Anflug eines Zweifels. ›Aus diesem Grund habe ich die Kodizes auch nach Mekka geschickt.‹
    |549| ›Warum das?‹ fragte ich überrascht.
    ›Weil die Linien auf dem Pergament denen glichen, die man dort in der Kaaba finden kann.‹
    Das verblüffte mich noch mehr. Im selben Augenblick kam mir jedoch wieder mein Besuch des Harams in Jerusalem in den Sinn, wo ich im Felsendom in die Seelengrube hinabgeblickt und in der Tiefe dieselben Linien erspäht hatte. Hatte der dortige Scheich damals nicht auch die Kaaba erwähnt? Ich war mir fast sicher. Aber was für Linien, was für eine Art Schrift war das? Sie mußten jedenfalls von großer Bedeutung sein, wenn Abbilder davon in den höchsten Heiligtümern des Islam zu finden waren. Auch Azarquiels Geschichte bekräftigte diese Vermutung;ganz besessen hatte er unter Antigua immer mehr Gänge und Schächte gegraben, um den Linien dieses rätselhaften Pergaments zu folgen, das Samuel Toledano zuvor entschlüsseln wollte und nach dem al-Hakam II. und Ibn Shaprut jahrelang gesucht hatten. Sie alle schienen sich irgendwie in Instrumente des Labyrinths verwandelt zu haben, hinter dem eine höhere Macht stecken mußte.
    Doch am meisten bestürzte mich die dunkle Ahnung, selbst zu einem Glied jener unseligen Kette geworden zu sein, von dem Moment an, als Moisés Toledano mir und Rebecca die elf Keile übergeben hatte. Wenn nicht gar schon sehr viel früher. All das schoß mir durch den Kopf, als ich den Imam nun fragte:
    ›Habt Ihr denn selbst dieses Muster in der Kaaba gesehen?‹
    ›Ja. Vor sehr vielen Jahren.‹
    ›Ist dies auch für einen gewöhnlichen Gläubigen möglich? Glaubt Ihr, man würde mir den Zutritt gestatten?‹ wagte ich zu fragen.
    ›Das halte ich für ausgeschlossen. Es sei denn …‹
    Mitten im Satz hielt er inne. Er griff nach dem Empfehlungsschreiben, das Fartax für mich aufgesetzt hatte, las es erneut und musterte mich dann von oben bis unten, als ginge er mit sich zu Rate. Und wieder überkam mich das düstere Gefühl, daß ich eine Rolle zu spielen hatte, die mir irgendwer in einem schmählichen Bündnis zugedacht hatte.
    |550| ›Kommt‹, sagte er schließlich und stand auf.
    Er führte mich in einen großen Innenhof, über dem ein gewaltiges Sonnensegel gespannt war. Auf Teppichen und Kissen saßen dort viele Menschen auf dem Boden, die unermüdlich an einem ungeheuer großen Tuch aus schwarzem Brokat stickten. Es war so groß, daß sie seine Enden hatten umschlagen müssen, damit es überhaupt in den Innenhof paßte.
    ›Wir machen gerade den Überwurf fertig‹, erklärte er.
    ›Aber wer um Allahs willen soll denn einen derartig riesigen Überwurf tragen?‹ erkundigte ich mich voller Staunen.
    Da lächelte der Imam und antwortete geheimnisvoll:
    ›Das werdet Ihr gleich sehen.‹
    Wir traten nun näher, um den Arbeitenden zuzusehen, wie sie mit Goldfäden mehrere Zoll große arabische Buchstaben in den Stoff stickten, die ihr Glaubensbekenntnis darstellten:
Es
gibt keinen Gott außer Allah, und Mohammed ist sein Prophet.
    ›Und? Seid Ihr darauf gekommen, was groß genug ist, diesen Überwurf zu tragen?‹ wollte der Imam von mir wissen. Als ich bedauernd den Kopf schüttelte, lächelte er erneut und erklärte andächtig: ›Das hier ist die
Kiswa,
der Überwurf für die Kaaba. Bald soll er in Mekka das Haus Gottes bedecken.‹
    Das also war das Tuch, welches das würfelförmige Gebäude schützte, in das der berühmte Schwarze Stein eingemauert war. Und in diesem ›Stein der Glückseligkeit‹, wie ihn die Muslime nannten, waren offenbar die Linien des Pergaments zu finden und vielleicht ja auch deren Bedeutung. Ich hatte immer geglaubt, daß es mir

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